authentizität@gesellschaft (8): Plagiieren an den Universitäten

Derzeit finden sich wieder gehäuft Zeitungsartikel in Österreich wie in Deutschland, die sich mit dem Thema "Plagiat" im Studium und an der Universität beschäftigen. Das ist ein Dauerbrenner geworden und da stellt sich dann schon die Frage, warum das Thema entweder nur als überwiegend technisches ("Generation Copy & Paste") oder als moralisches Problem verhandelt wird:

Allein die Studentenpresse (13.11.2008) fragt auch nach dem Warum:

"Es stellt sich die Frage: Warum machen Studierende das? Warum setzen sie leichtsinnig ihre Zukunft aufs Spiel? Gründe gibt es viele, allen voran stetig steigender Konkurrenzdruck, keine Lust auf großen Aufwand, oftmals aber auch geringe Fähigkeiten des wissenschaftlichen Arbeitens. Zudem ist das Fälschen einer Arbeit heutzutage so einfach wie nie zuvor: Google, Wikipedia und Co stehen allzeit bereit."


Am Ende mündet es dann doch wieder in die alte Leier: Weil es technisch so einfach sei.

In Baden-Württemberg wird derweil eine Änderung des Hochschulgesetzes vorbereitet werden. Wer abschreibt fliegt raus. Derweil werden in Wien nicht nur gegen Studierende Plagiats-Vorwürfe erhoben, sondern auch gegen ein Team der Wiener Medizinuniversität der Fälschungs-Vorwurf, was aber noch mal eine ganz andere Nummer ist.

Berühmt-berücktigt ist der inzwischen als "Plagiats-Jäger" bekannt gewordene österreichische Medienwissenschaftler Stefan Weber, dessen Motive, sich in dieser Verve einer solchen Sache zu verschreiben, unklar bleiben: "Plagiats-Jäger Weber kritisiert Software – und gibt Tipps zum richtigen Abschreiben." (Die Presse, 16.11. 2008). Das dabei eine Portion Wut und Frustration über den Universitätsbetrieb im Allgemeinen und die Verhältnisse in den Medienwissenschaften im Besonderen eine Rolle spielen, lässt sich vermuten. Und natürlich geht es auch um Branding. Dass die Berichtererstattung über das Thema das Problem fortlaufend neu generiert ist aus solch einer Perspektive eher nachrangig. Wenn dann auch noch eine „Agentur für wissenschaftliche Integrität“ gefordert und vorbereitet wird, dann ist auch klar, wer hierfür am besten geeignet erscheint. Good luck!

Die Universitäten treibt Weber derzeit vor sich her, dass es eine wahre Freude für jeden Agenda-Setting-Anhänger sein muss.

Die FAZ (13.11. 2008) geht auf die dem baden-württembergischen Gesetzentwurf zugrunde liegende Annahmen ein:

"Ohne dass es schon zweifelsfreie Zahlen zu Plagiatsfällen gäbe, besteht der Eindruck, dass diese Art akademischer Delinquenz erheblich zugenommen hat und sich praktisch auf alle Textsorten erstreckt: Referate, „Folien“, Hausarbeiten, Qualifikationsschriften. Eine lockere Umfrage der Zeitschrift „Varsity“ unter gut eintausend Studenten an der Universität Cambridge will herausgefunden haben, jeder zweite davon greife zuweilen unausgewiesenermaßen auf fremde Textbausteine aus Netzwerken wie Facebook und Myspace zurück. Sätze aus Wikipdia in eigene Werke hineinkopiert hätten mehr als zwei Drittel der Befragten. Dem stehe eine Entdeckungsquote von fünf Prozent gegenüber. Die höchste Zustimmung hat das Plagiieren in Cambridge offenbar unter Studenten der Rechtswissenschaft."

Der Punkt ist allerdings, das überhaupt nicht klar ist, ob das Plagiat wirklich so wie behauptet zugenommen hat, oder dass es jetzt einfach sichtbar wird (nämlich mit der gleichen Technologie, die dafür verantwortlich sein soll, dass es zunähme), zum anderen weist der FAZ-Artikel implizit zumindest darauf hin, dass es die beklagten Praktiken schon immer gegeben hat.

"Das hilft selbstverständlich nicht bei Plagiaten aus Büchern oder anderen Texten, die nicht im Netz lagern. Bei flächendeckendem Einsatz solcher Textvergleichs-Software könnte es insofern zu einer Wiederentdeckung älterer Abschreibepraktiken kommen. Man weiß aus der Wissenschaft selber, wie weit es manche Autoren auch in jüngerer Zeit damit gebracht haben. Oder die Software zeigt ihr normneutrales Gesicht dadurch, dass sie umgekehrt von Studenten eingesetzt wird, die herauszufinden suchen, ob ihr Plagiat als ein solches identifiziert werden kann. Erste Internetanbieter sind bekannt, die gegen eine erschwingliche Gebühr solche Qualitätsprüfungen an Plagiaten vornehmen."

Was aber am meisten stört an der Debatte ist der moralische Unterton. Es wird allenfalls erwähnt, aber nicht als das eigentlich Problem erwähnt, dass es mitunter die Ökonomisierung der Universität selbst ist, die die heutigen Praktiken (ohne das eine Zunahme behauptet werden soll) hervorbringt. Abgesehen davon, dass es im Eigeninteresse der Studierenden liegt (gemessen am Ausbildungsziel) eigenständige Leistungen zu erbringen, lenkt diese Debatte davon ab, dass nicht die plagiierenden Studierenden unser Problem sind, sondern die Bedingungen des Studiums (Bologna-Prozess, Ökonomisierung usw.), die den Nährboden hierfür abgeben.

Eine alternative Betrachtungsweise bietet die österreichische Zeitschrift der IG Kultur, "Kulturrisse". Insbesondere Konrad Becker zeigt, dass der Diskurs auf der ganzen Linie falsch ist.

[Materialien für die gleichnamige Vorlesung und Übung am Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien: "Authentizität@Gesellschaft - Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die Suche nach dem Original und auf die Dynamiken von Fake, Konstruktion und Fälschung"]
Joern Borchert - 22. Nov, 22:35

Wissenschaft ist fortwährendes Plagiieren - oder nicht?

Seien wir doch ehrlich. Es sind die Universitäten selbst, die einem das Plagiieren nahe legen. Das war schon immer so. Soll eine Arbeit "wissenschaftlich" sein, dann muss sie sich auf andere Arbeiten beziehen, die als "wissenschaftlich" gewertet werden, weil sie sich auf andere Arbeiten bezogen haben. Oder können Sie sich eine Examensarbeit ohne Zitate und Fußnoten vorstellen? Wohl kaum. Die Wissenschaft, ein System, das sich auf diese Weise selbst beschränkt? Vielleicht ja. Welche Erkenntnisse würden zu Tage treten, wenn man den größten Teil seiner Zeit während des Examens nicht mit Literaturrecherchen verbringen würde, sondern seinen eigenen Kopf zum Denken benutzen dürfte?

Und dort, wo man geradezu gezwungen wird, andere Arbeiten zur Hand zu nehmen, da liegt es doch mehr als nahe auch die eine oder andere gelungene Textpassage zu übernehmen. Klar, eine solche Übernahme sollte eigentlich kenntlich gemacht werden. Doch, wo liegt die Grenze?

Ich denke ferner, dass im Schreibmaschinenzeitalter oder noch davor sehr viel mehr abgeschrieben wurde, als das heute der Fall ist. Meine Magisterarbeit zur Wettervorhersage zwischen 1750 und 1850 bestand zu großen Teilen daraus, dass ich nachgewiesen habe, wer von wem abgeschrieben hat. Hatte ich mir vorher so auch nicht ausgerechnet.

IT-Technologien machen es nun möglich, mehrere Texte miteinander zu vergleichen. So what? Nun muss man sich beim Ideenklau etwas mehr als früher anstrengen. Bringt das die Wissenschaften voran? Ich finde, es wäre nützlicher, wenn die Studierenden mehr dazu angehalten wären, eigene Gedanken zu formulieren, als sich dauernd auf das beziehen zu müssen, was andere vor ihnen schon von anderen abgeschrieben haben. ;-)

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