Karl Marx: Die Finanzkrise in Europa
In der New Yorker Daily Tribune (Nr. 5202, 22.12 1857) lesen wir folgenden Leitartikel von Karl Marx ("Die Finanzkrise in Europa"). Der Artikel ist aus dem Englischen übersetzt und wurde geschrieben am 4. Dezember 1857.
[Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke. Band 12, Berlin/DDR 1961 ((Karl) Dietz Verlag)), S. 339-343.]
<339> Durch die Post, die gestern früh mit der "Canada" und der "Adriatic" eingetroffen ist, sind wir in den Besitz einer Wochenchronik der europäischen Finanzkrise gelangt. Diese Geschichte kann in wenigen Worten zusammengefaßt werden. Hamburg bildete immer noch das Zentrum des Krisenfiebers, das sich mehr oder weniger heftig auf Preußen auswirkte und allmählich den englischen Geldmarkt in den unsicheren Zustand zurückversetzte, von dem er sich gerade zu erholen schien. Ein ferner Widerhall des Sturmes kam von Spanien und Italien. Die Lähmung der industriellen Aktivität und das sich daraus ergebende Elend der Arbeiterklasse griff in ganz Europa schnell um sich. Andererseits gab der gewisse Widerstand, den Frankreich der Ansteckung bis jetzt entgegensetzte, jenen, die sich mit politischer Ökonomie beschäftigen, ein Rätsel auf, das schwerer zu lösen sein soll als die generelle Krise selbst.
Man hatte gedacht, daß die Hamburger Krise mit dem 21. November ihren Höhenpunkt überschritten habe, als der Garantie-Disconto-Verein, für den man insgesamt 12.000.000 Mark Banko gezeichnet hatte, mit der Bestimmung gegründet worden war, die Zirkulation solcher Wechsel und Noten zu sichern, die den Stempel des Vereins tragen sollten. Einige Bankrotte und Ereignisse, wie der Selbstmord des Wechselmaklers Gowa, zeigten jedoch etliche Tage später neues Unheil an. Am 26. November war die Panik wieder in vollem Gange, und wie zuerst der Disconto-Verein, so trat jetzt die Regierung in Erscheinung, um ihren Lauf aufzuhalten. Am 27. machte der Senat den Vorschlag und erhielt auch von der Erbgesessenen Bürgerschaft der Stadt die Zustimmung, verzinsliche Wertpapiere (Noten der Kämmerei) zu einem Betrage von 15.000.000 Mark Banko herauszugeben, um Vorschüsse <340> auf Waren dauerhafter Art oder auf Staatspapiere zu gewähren, wobei sich diese Vorschüsse auf 50 bis 662/3 Prozent des entsprechenden Werts der verpfändeten Waren belaufen sollen. Diese zweite Bemühung, den Handel wieder zu normalisieren, scheiterte wie die erste - beide ähnelten den vergeblichen Hilferufen, die dem Untergang eines Schiffes vorausgehen. Die Garantie des Disconto-Vereins selbst bedurfte, wie sich herausstellte, seinerseits einer neuen Garantie; überdies wurden die Vorschüsse des Staates, die in ihrer Höhe und auch in den Warengattungen, auf die sie gewährt wurden, begrenzt waren, eben gerade infolge der Bedingungen, unter denen sie gegeben wurden, relativ nutzlos, und zwar in dem Maße, wie die Preise fielen. Um die Preise zu halten, und so die eigentliche Ursache des Unheils abzuwehren, mußte der Staat die Preise zahlen, die vor dem Ausbruch der Handelspanik galten, und Wechsel diskontieren, die nichts anderes mehr repräsentieren als ausländische Bankrotte. Mit anderen Worten, das Vermögen der gesamten Gesellschaft, welche die Regierung vertritt, hätte die Verluste der privaten Kapitalisten zu vergüten. Diese Art Kommunismus, wo die Gegenseitigkeit völlig einseitig ist, erscheint den europäischen Kapitalisten ziemlich anziehend. Am 29. November brachen zwanzig große Hamburger Handelsfirmen sowie zahlreiche Altonaer Geschäftshäuser zusammen; die Diskontierung der Wechsel wurde eingestellt, die Preise der Waren und Wertpapiere wurden nominell, und das Geschäftsleben geriet in eine Sackgasse. Aus der Liste der Bankrotte ist ersichtlich, daß sich fünf von ihnen bei Bankoperationen mit Schweden und Norwegen ereigneten, wobei sich die Schulden der Firma Ulberg & Cramer auf 12.000.000 Mark Banko beliefen; fünf Bankrotte gab es im Kolonialwarenhandel, vier im Ostseehandel, zwei im Industriewaren-Export, zwei bei Versicherungsgesellschaften, einen an der Börse, einen im Schiffsbau. Schweden hängt so gänzlich von Hamburg als seinem Exporteur, Wechselmakler und Bankier ab, daß die Geschichte des Hamburger Marktes auch die des Stockholmer Marktes ist. Dementsprechend verkündete ein Telegramm zwei Tage nach dem Krach, daß die Bankrotte in Hamburg zu Bankrotten in Stockholm geführt hatten und daß sich auch dort eine Unterstützung seitens der Regierung als nutzlos erwiesen hatte. Was in dieser Beziehung für Schweden gilt, gilt um so mehr für Dänemark, dessen Handelszentrum, Altona, nur ein Vorort von Hamburg ist. Am 1. Dezember erfolgten zahlreiche Zahlungseinstellungen, darunter von zwei sehr alten Firmen, nämlich der Firma Conrad Warneke im Kolonialhandel, besonders mit Zucker, die ein Kapital von 2.000.000 Mark Banko aufwies und ausgedehnte Verbindungen zu Deutschland, Dänemark und Schweden hatte, und der Firma Lorent am Ende & Co. die mit Schweden und Norwegen Handel <341> führte. Ein Schiffsbesitzer und Großkaufmann verübte infolge seiner Geldschwierigkeiten Selbstmord.
Das allgemeine Ausmaß des Hamburger Handels kann man aus der Tatsache ersehen, daß augenblicklich ungefähr für 500.000.000 Mark Banko Waren aller Art in Lagerhäusern und im Hafen auf Rechnung der Hamburger Kaufleute lagern. Die Republik greift nun zum einzigen Mittel gegen die Krise, indem sie ihren Bürgern die Pflicht der Schuldenzahlung erläßt. Wahrscheinlich wird ein Gesetz erlassen werden, das allen fälligen Wechseln einen Monat Aufschub gewährt. Was Preußen anbelangt, so nehmen die Zeitungen von der schweren Lage der rheinischen und westfälischen Fabrikbezirke kaum Notiz, da sie noch nicht zu zahlreichen Bankrotten geführt hat; diese sind auf die Getreideexporteure in Stettin und Danzig und auf ungefähr vierzig Fabrikanten in Berlin beschränkt geblieben. Die preußische Regierung hat sich eingemischt, indem sie die Berliner Bank ermächtigte, Vorschüsse für gelagerte Waren zu gewähren, und die Wuchergesetze aufhob. Die erste Maßnahme wird sich in Berlin als ebenso vergeblich erweisen wie in Stockholm und Hamburg, und die zweite bringt Preußen nur auf gleiche Ebene mit anderen Handelsländern.
Der Hamburger Krach gibt jenen phantasiereichen Geistern eine beweiskräftige Antwort, die annehmen, daß die gegenwärtige Krise den durch Papierwährung künstlich erhöhten Preisen entspringt. Was den Geldumlauf betrifft, so bildet Hamburg den entgegengesetzten Pol zu diesem Lande. Dort gibt es nämlich nur Silbergeld. Es gibt dort gar keinen Papiergeldumlauf, sondern man brüstet sich damit, nur rein metallisches Geld als Zirkulationsmittel zu haben. Nichtsdestoweniger wütet dort die gegenwärtige Panik sehr stark; mehr noch, Hamburg ist seit dem Auftreten der generellen Handelskrisen, deren Entdeckung nicht so alt ist wie die der Kometen, ihr Lieblingsschauplatz gewesen. Während des letzten Drittels des achtzehnten Jahrhunderts bot es zweimal das gleiche Schauspiel wie jetzt, und wenn es sich durch irgendein charakteristisches Merkmal von anderen großen Handelszentren der Welt unterscheidet, dann ist es die Häufigkeit und Heftigkeit der Schwankungen im Zinssatz.
Wenden wir uns von Hamburg nach England, so stellen wir fest, daß sich die Stimmung des Londoner Geldmarkts vom 27. November ab fortlaufend verbesserte bis 1. Dezember, als wieder eine Gegenströmung einsetzte. Am 28. November war der Preis des Silbers tatsächlich gefallen, aber nach dem 1. Dezember hob er sich wieder und wird wahrscheinlich weiterhin steigen, da für Hamburg große Mengen gebraucht werden. Mit anderen Worten, von London wird wieder Gold abgezogen werden, um kontinentales Silber zu <342> kaufen, und dieser wiederholte Goldabfluß wird eine erneute Anziehung der Schraube seitens der Bank von England erfordern. Neben der plötzlichen Nachfrage in Hamburg steht in nicht allzuferner Zukunft die indische Anleihe bevor, zu der die Regierung notwendigerweise Zuflucht nehmen muß, so sehr sie sich auch bemühen mag, den schrecklichen Tag hinauszuschieben. Die Tatsache, daß sich neue Bankrotte seit dem 1. dieses Monats ereignet hatten, trug dazu bei, den Irrtum zu zerstreuen, der Geldmarkt hätte das Schlimmste überwunden. Lord Overstone (der Bankier Loyd) bemerkte in der Eröffnungssitzung des Oberhauses:
"Der nächste Druck auf die Bank von England wird wahrscheinlich erfolgen, bevor die Wechselkurse bereinigt sind, und dann wird die Krise größer sein als die, vor der wir jetzt ausgewichen sind. Unserem Lande drohen ernste und gefährliche Schwierigkeiten."
Die Hamburger Katastrophe ist in London noch nicht fühlbar geworden. Die Verbesserung der Lage des Kreditmarktes hatte den Warenmarkt günstig beeinflußt, aber ungeachtet der eventuellen neuen Verminderung der Geldmasse ist es offenbar, daß der große Preissturz der Waren in Stettin, Danzig und Hamburg unbedingt die Londoner Preisnotierungen senken wird. Das französische Dekret, das das Ausfuhrverbot für Getreide und Mehl aufhob, zwang die Londoner Mühlenbesitzer sofort, ihre Preise pro 280 Pfund um drei Schilling zu senken, um die Einfuhr von Mehl aus Frankreich einzudämmen. Es wurde über einige Bankrotte im Getreidehandel berichtet, sie blieben jedoch auf kleinere Firmen und Getreidespekulanten mit langfristigen Lieferungen beschränkt.
Die englischen Industriebezirke bringen nichts Neues außer der Tatsache, daß die dem indischen Bedarf angepaßten Baumwollwaren, wie brauner Shirting, Jaconet, Madapolam, sowie die für den gleichen Markt geeigneten Garne zum ersten Mal seit 1847 günstige Preise in Indien erzielt haben. Seit 1847 stammten die Profite, die die Fabrikanten von Manchester in diesem Handel realisierten, nicht aus dem Verkauf ihrer Waren in Ostindien, sondern nur aus dem Verkauf ihrer aus Ostindien eingeführten Waren in England. Die seit Juni 1857 erfolgte fast völlige Abdrosselung des Exports nach Indien, verursacht durch den Aufstand, gestattete dem indischen Markt, die angehäuften englischen Waren aufzubrauchen, und machte ihn sogar für neue Lieferungen zu erhöhten Preisen aufnahmefähig. Unter gewöhnlichen Umständen hätte ein solches Ereignis außerordentlich belebend auf den Handel von Manchester gewirkt. Gegenwärtig hat es, wie wir aus privaten Briefen erfahren, die Preise der meist gefragten Artikel kaum erhöht, dagegen aber <343> eine solche Menge Anwendung suchender Produktivkraft auf die Fabrikation dieser besonderen Artikel gelenkt, daß sie ausreichen würde, drei Indien in kürzester Frist mit Waren zu überschwemmen. Die allgemeine Vermehrung der Produktivkraft in den britischen Industriebezirken während der letzten zehn Jahre ist derart gewesen, daß sogar die auf weniger als zwei Drittel ihres bisherigen Umfangs reduzierte Arbeit von den Fabrikbesitzern nur aufrechterhalten werden kann, indem sie in ihren Lagerhäusern einen großen Überschuß an Waren anhäufen. Die Firma Du Fay & Co schreibt in ihrem monatlichen Manchester Handelsbericht, daß
"es in diesem Monat eine Pause im Handel gab, sehr wenig Geschäfte getätigt wurden und die Preise allgemein niedrig waren. Niemals vorher war die Gesamthöhe der monatlich getätigten Geschäfte so niedrig wie im November."
Es ist vielleicht hier am Platze, auf die Tatsache aufmerksam zu machen, daß 1858 zum ersten Mal die Aufhebung der britischen Korngesetze einer ernsthaften Prüfung unterzogen wird. Sowohl durch den Einfluß des australischen Goldes und die industrielle Prosperität als auch durch die natürlichen Ergebnisse schlechter Ernten war der Durchschnittspreis des Weizens in der Zeit von 1847 bis 1857 höher als in der Zeit von 1826 bis 1836. Eine scharfe Konkurrenz der ausländischen Landwirtschaft und ihrer Erzeugnisse wird nun gleichzeitig mit einem Absinken der inneren Nachfrage ertragen werden müssen, und eine Agrarkrise, welche in den Annalen der britischen Geschichte von 1815 bis 1832 begraben zu sein schien, wird wahrscheinlich wieder auftreten. Es ist wahr, daß die Erhöhung der Preise für französischen Weizen und französisches Mehl, die auf die kaiserlichen Dekrete folgte, sich nur als zeitweilig erwies und sogar verschwand, ehe ein ausgedehnter Export nach England einsetzte. Aber bei einem weiteren Druck auf den französischen Geldmarkt wird Frankreich gezwungen sein, sein Getreide und Mehl nach England zu werfen, welches gleichzeitig durch verstärkten Verkauf deutscher Erzeugnisse bestürmt wird. Dann werden im Frühjahr Schiffsladungen aus den Vereinigten Staaten kommen und dem britischen Getreidemarkt einen endgültigen Schlag versetzen. Wenn, wie die ganze Geschichte der Preise uns vermuten läßt, mehrere gute Ernten jetzt aufeinanderfolgen, werden wir die wirklichen Folgen der Aufhebung der Korngesetze bis ins Letzte erkennen, und zwar in erster Linie für die Landarbeiter, in zweiter für die Farmer und schließlich für das ganze System des britischen Grundbesitzes.
[Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke. Band 12, Berlin/DDR 1961 ((Karl) Dietz Verlag)), S. 339-343.]
<339> Durch die Post, die gestern früh mit der "Canada" und der "Adriatic" eingetroffen ist, sind wir in den Besitz einer Wochenchronik der europäischen Finanzkrise gelangt. Diese Geschichte kann in wenigen Worten zusammengefaßt werden. Hamburg bildete immer noch das Zentrum des Krisenfiebers, das sich mehr oder weniger heftig auf Preußen auswirkte und allmählich den englischen Geldmarkt in den unsicheren Zustand zurückversetzte, von dem er sich gerade zu erholen schien. Ein ferner Widerhall des Sturmes kam von Spanien und Italien. Die Lähmung der industriellen Aktivität und das sich daraus ergebende Elend der Arbeiterklasse griff in ganz Europa schnell um sich. Andererseits gab der gewisse Widerstand, den Frankreich der Ansteckung bis jetzt entgegensetzte, jenen, die sich mit politischer Ökonomie beschäftigen, ein Rätsel auf, das schwerer zu lösen sein soll als die generelle Krise selbst.
Man hatte gedacht, daß die Hamburger Krise mit dem 21. November ihren Höhenpunkt überschritten habe, als der Garantie-Disconto-Verein, für den man insgesamt 12.000.000 Mark Banko gezeichnet hatte, mit der Bestimmung gegründet worden war, die Zirkulation solcher Wechsel und Noten zu sichern, die den Stempel des Vereins tragen sollten. Einige Bankrotte und Ereignisse, wie der Selbstmord des Wechselmaklers Gowa, zeigten jedoch etliche Tage später neues Unheil an. Am 26. November war die Panik wieder in vollem Gange, und wie zuerst der Disconto-Verein, so trat jetzt die Regierung in Erscheinung, um ihren Lauf aufzuhalten. Am 27. machte der Senat den Vorschlag und erhielt auch von der Erbgesessenen Bürgerschaft der Stadt die Zustimmung, verzinsliche Wertpapiere (Noten der Kämmerei) zu einem Betrage von 15.000.000 Mark Banko herauszugeben, um Vorschüsse <340> auf Waren dauerhafter Art oder auf Staatspapiere zu gewähren, wobei sich diese Vorschüsse auf 50 bis 662/3 Prozent des entsprechenden Werts der verpfändeten Waren belaufen sollen. Diese zweite Bemühung, den Handel wieder zu normalisieren, scheiterte wie die erste - beide ähnelten den vergeblichen Hilferufen, die dem Untergang eines Schiffes vorausgehen. Die Garantie des Disconto-Vereins selbst bedurfte, wie sich herausstellte, seinerseits einer neuen Garantie; überdies wurden die Vorschüsse des Staates, die in ihrer Höhe und auch in den Warengattungen, auf die sie gewährt wurden, begrenzt waren, eben gerade infolge der Bedingungen, unter denen sie gegeben wurden, relativ nutzlos, und zwar in dem Maße, wie die Preise fielen. Um die Preise zu halten, und so die eigentliche Ursache des Unheils abzuwehren, mußte der Staat die Preise zahlen, die vor dem Ausbruch der Handelspanik galten, und Wechsel diskontieren, die nichts anderes mehr repräsentieren als ausländische Bankrotte. Mit anderen Worten, das Vermögen der gesamten Gesellschaft, welche die Regierung vertritt, hätte die Verluste der privaten Kapitalisten zu vergüten. Diese Art Kommunismus, wo die Gegenseitigkeit völlig einseitig ist, erscheint den europäischen Kapitalisten ziemlich anziehend. Am 29. November brachen zwanzig große Hamburger Handelsfirmen sowie zahlreiche Altonaer Geschäftshäuser zusammen; die Diskontierung der Wechsel wurde eingestellt, die Preise der Waren und Wertpapiere wurden nominell, und das Geschäftsleben geriet in eine Sackgasse. Aus der Liste der Bankrotte ist ersichtlich, daß sich fünf von ihnen bei Bankoperationen mit Schweden und Norwegen ereigneten, wobei sich die Schulden der Firma Ulberg & Cramer auf 12.000.000 Mark Banko beliefen; fünf Bankrotte gab es im Kolonialwarenhandel, vier im Ostseehandel, zwei im Industriewaren-Export, zwei bei Versicherungsgesellschaften, einen an der Börse, einen im Schiffsbau. Schweden hängt so gänzlich von Hamburg als seinem Exporteur, Wechselmakler und Bankier ab, daß die Geschichte des Hamburger Marktes auch die des Stockholmer Marktes ist. Dementsprechend verkündete ein Telegramm zwei Tage nach dem Krach, daß die Bankrotte in Hamburg zu Bankrotten in Stockholm geführt hatten und daß sich auch dort eine Unterstützung seitens der Regierung als nutzlos erwiesen hatte. Was in dieser Beziehung für Schweden gilt, gilt um so mehr für Dänemark, dessen Handelszentrum, Altona, nur ein Vorort von Hamburg ist. Am 1. Dezember erfolgten zahlreiche Zahlungseinstellungen, darunter von zwei sehr alten Firmen, nämlich der Firma Conrad Warneke im Kolonialhandel, besonders mit Zucker, die ein Kapital von 2.000.000 Mark Banko aufwies und ausgedehnte Verbindungen zu Deutschland, Dänemark und Schweden hatte, und der Firma Lorent am Ende & Co. die mit Schweden und Norwegen Handel <341> führte. Ein Schiffsbesitzer und Großkaufmann verübte infolge seiner Geldschwierigkeiten Selbstmord.
Das allgemeine Ausmaß des Hamburger Handels kann man aus der Tatsache ersehen, daß augenblicklich ungefähr für 500.000.000 Mark Banko Waren aller Art in Lagerhäusern und im Hafen auf Rechnung der Hamburger Kaufleute lagern. Die Republik greift nun zum einzigen Mittel gegen die Krise, indem sie ihren Bürgern die Pflicht der Schuldenzahlung erläßt. Wahrscheinlich wird ein Gesetz erlassen werden, das allen fälligen Wechseln einen Monat Aufschub gewährt. Was Preußen anbelangt, so nehmen die Zeitungen von der schweren Lage der rheinischen und westfälischen Fabrikbezirke kaum Notiz, da sie noch nicht zu zahlreichen Bankrotten geführt hat; diese sind auf die Getreideexporteure in Stettin und Danzig und auf ungefähr vierzig Fabrikanten in Berlin beschränkt geblieben. Die preußische Regierung hat sich eingemischt, indem sie die Berliner Bank ermächtigte, Vorschüsse für gelagerte Waren zu gewähren, und die Wuchergesetze aufhob. Die erste Maßnahme wird sich in Berlin als ebenso vergeblich erweisen wie in Stockholm und Hamburg, und die zweite bringt Preußen nur auf gleiche Ebene mit anderen Handelsländern.
Der Hamburger Krach gibt jenen phantasiereichen Geistern eine beweiskräftige Antwort, die annehmen, daß die gegenwärtige Krise den durch Papierwährung künstlich erhöhten Preisen entspringt. Was den Geldumlauf betrifft, so bildet Hamburg den entgegengesetzten Pol zu diesem Lande. Dort gibt es nämlich nur Silbergeld. Es gibt dort gar keinen Papiergeldumlauf, sondern man brüstet sich damit, nur rein metallisches Geld als Zirkulationsmittel zu haben. Nichtsdestoweniger wütet dort die gegenwärtige Panik sehr stark; mehr noch, Hamburg ist seit dem Auftreten der generellen Handelskrisen, deren Entdeckung nicht so alt ist wie die der Kometen, ihr Lieblingsschauplatz gewesen. Während des letzten Drittels des achtzehnten Jahrhunderts bot es zweimal das gleiche Schauspiel wie jetzt, und wenn es sich durch irgendein charakteristisches Merkmal von anderen großen Handelszentren der Welt unterscheidet, dann ist es die Häufigkeit und Heftigkeit der Schwankungen im Zinssatz.
Wenden wir uns von Hamburg nach England, so stellen wir fest, daß sich die Stimmung des Londoner Geldmarkts vom 27. November ab fortlaufend verbesserte bis 1. Dezember, als wieder eine Gegenströmung einsetzte. Am 28. November war der Preis des Silbers tatsächlich gefallen, aber nach dem 1. Dezember hob er sich wieder und wird wahrscheinlich weiterhin steigen, da für Hamburg große Mengen gebraucht werden. Mit anderen Worten, von London wird wieder Gold abgezogen werden, um kontinentales Silber zu <342> kaufen, und dieser wiederholte Goldabfluß wird eine erneute Anziehung der Schraube seitens der Bank von England erfordern. Neben der plötzlichen Nachfrage in Hamburg steht in nicht allzuferner Zukunft die indische Anleihe bevor, zu der die Regierung notwendigerweise Zuflucht nehmen muß, so sehr sie sich auch bemühen mag, den schrecklichen Tag hinauszuschieben. Die Tatsache, daß sich neue Bankrotte seit dem 1. dieses Monats ereignet hatten, trug dazu bei, den Irrtum zu zerstreuen, der Geldmarkt hätte das Schlimmste überwunden. Lord Overstone (der Bankier Loyd) bemerkte in der Eröffnungssitzung des Oberhauses:
"Der nächste Druck auf die Bank von England wird wahrscheinlich erfolgen, bevor die Wechselkurse bereinigt sind, und dann wird die Krise größer sein als die, vor der wir jetzt ausgewichen sind. Unserem Lande drohen ernste und gefährliche Schwierigkeiten."
Die Hamburger Katastrophe ist in London noch nicht fühlbar geworden. Die Verbesserung der Lage des Kreditmarktes hatte den Warenmarkt günstig beeinflußt, aber ungeachtet der eventuellen neuen Verminderung der Geldmasse ist es offenbar, daß der große Preissturz der Waren in Stettin, Danzig und Hamburg unbedingt die Londoner Preisnotierungen senken wird. Das französische Dekret, das das Ausfuhrverbot für Getreide und Mehl aufhob, zwang die Londoner Mühlenbesitzer sofort, ihre Preise pro 280 Pfund um drei Schilling zu senken, um die Einfuhr von Mehl aus Frankreich einzudämmen. Es wurde über einige Bankrotte im Getreidehandel berichtet, sie blieben jedoch auf kleinere Firmen und Getreidespekulanten mit langfristigen Lieferungen beschränkt.
Die englischen Industriebezirke bringen nichts Neues außer der Tatsache, daß die dem indischen Bedarf angepaßten Baumwollwaren, wie brauner Shirting, Jaconet, Madapolam, sowie die für den gleichen Markt geeigneten Garne zum ersten Mal seit 1847 günstige Preise in Indien erzielt haben. Seit 1847 stammten die Profite, die die Fabrikanten von Manchester in diesem Handel realisierten, nicht aus dem Verkauf ihrer Waren in Ostindien, sondern nur aus dem Verkauf ihrer aus Ostindien eingeführten Waren in England. Die seit Juni 1857 erfolgte fast völlige Abdrosselung des Exports nach Indien, verursacht durch den Aufstand, gestattete dem indischen Markt, die angehäuften englischen Waren aufzubrauchen, und machte ihn sogar für neue Lieferungen zu erhöhten Preisen aufnahmefähig. Unter gewöhnlichen Umständen hätte ein solches Ereignis außerordentlich belebend auf den Handel von Manchester gewirkt. Gegenwärtig hat es, wie wir aus privaten Briefen erfahren, die Preise der meist gefragten Artikel kaum erhöht, dagegen aber <343> eine solche Menge Anwendung suchender Produktivkraft auf die Fabrikation dieser besonderen Artikel gelenkt, daß sie ausreichen würde, drei Indien in kürzester Frist mit Waren zu überschwemmen. Die allgemeine Vermehrung der Produktivkraft in den britischen Industriebezirken während der letzten zehn Jahre ist derart gewesen, daß sogar die auf weniger als zwei Drittel ihres bisherigen Umfangs reduzierte Arbeit von den Fabrikbesitzern nur aufrechterhalten werden kann, indem sie in ihren Lagerhäusern einen großen Überschuß an Waren anhäufen. Die Firma Du Fay & Co schreibt in ihrem monatlichen Manchester Handelsbericht, daß
"es in diesem Monat eine Pause im Handel gab, sehr wenig Geschäfte getätigt wurden und die Preise allgemein niedrig waren. Niemals vorher war die Gesamthöhe der monatlich getätigten Geschäfte so niedrig wie im November."
Es ist vielleicht hier am Platze, auf die Tatsache aufmerksam zu machen, daß 1858 zum ersten Mal die Aufhebung der britischen Korngesetze einer ernsthaften Prüfung unterzogen wird. Sowohl durch den Einfluß des australischen Goldes und die industrielle Prosperität als auch durch die natürlichen Ergebnisse schlechter Ernten war der Durchschnittspreis des Weizens in der Zeit von 1847 bis 1857 höher als in der Zeit von 1826 bis 1836. Eine scharfe Konkurrenz der ausländischen Landwirtschaft und ihrer Erzeugnisse wird nun gleichzeitig mit einem Absinken der inneren Nachfrage ertragen werden müssen, und eine Agrarkrise, welche in den Annalen der britischen Geschichte von 1815 bis 1832 begraben zu sein schien, wird wahrscheinlich wieder auftreten. Es ist wahr, daß die Erhöhung der Preise für französischen Weizen und französisches Mehl, die auf die kaiserlichen Dekrete folgte, sich nur als zeitweilig erwies und sogar verschwand, ehe ein ausgedehnter Export nach England einsetzte. Aber bei einem weiteren Druck auf den französischen Geldmarkt wird Frankreich gezwungen sein, sein Getreide und Mehl nach England zu werfen, welches gleichzeitig durch verstärkten Verkauf deutscher Erzeugnisse bestürmt wird. Dann werden im Frühjahr Schiffsladungen aus den Vereinigten Staaten kommen und dem britischen Getreidemarkt einen endgültigen Schlag versetzen. Wenn, wie die ganze Geschichte der Preise uns vermuten läßt, mehrere gute Ernten jetzt aufeinanderfolgen, werden wir die wirklichen Folgen der Aufhebung der Korngesetze bis ins Letzte erkennen, und zwar in erster Linie für die Landarbeiter, in zweiter für die Farmer und schließlich für das ganze System des britischen Grundbesitzes.
kschoenberger - 26. Okt, 22:23