Unterwelten ohne Internetkultur
Peter Genath, Mitautor des jüngst in der Rheinisch-Westfälischen Zeitschrift für Volkskunde publizierten Beitrags über "Ethnografie und Internet", verfasste in der selben Ausgabe dieser Zeitschrift eine Rezension (S. 229-230) des in Tübingen entstandenen und von Kaspar Maase und Bernd Jürgen Warneken herausgegebenen Sammelbandes "Unterwelten der Kultur. Themen und Theorien der volkskundlichen Kulturwissenschaft". Darin kritisiert Genath zunächst noch einigermaßen nachvollziehbar, wenn auch demgegenüber einwendbar wäre, dass sich die Systematik des Buches auf einem anderen Abstraktionsniveau bewegt und beispielsweise der Beitrag von Kaspar Maase ("Zum Studium der Unterhaltung") sich auch Anregungen für die Analyse von Internetkulturen bereithält:
"Allerdings hat dieser Band keinen Fokus auf einen Kernbereich gegenwärtiger Alltagskultur, und zwar den Bereich Internet und Internetkultur. Dies ist zu bedauern, denn die von den Autoren beschriebenen 'Unterwelten' der Kultur lassen sich natürlich auch bzw. gerade in diesem typischen alltagskulturellen Feld finden, das aus der heutigen Berufs- und Alltagswelt nicht mehr wegzudenken ist. Dabei sind ebenen auch die im Band kurz angedeuteten Lebensstile von größter Bedeutung."
Allerdings werden hier auch Eulen nach Athen getragen, wenn vergessen wird, dass gerade in Tübingen 1998 das erste DFG-Projekt zur "Transformation von Alltagsbeziehungen von InternetnutzerInnen" durchgeführt wurde. Darüber hinaus ist es eben die Frage, ob es Sinn macht, "Internet und Internetkultur" als eigenen Forschungsgegenstand zum Kernbereich von Alltagskultur zu erheben. Hier würde ich widersprechen und vorschlagen, die Konvergenzen zwischen Online- und Offline-Welt ernst zu nehmen und die Nutzung von neuen Informations- und Kommunikationstechniken entweder in unterschiedlichen sozialen Gruppen oder im Kontext umfassenderer Aspekte von Alltagskultur zu untersuchen [womit aber die Kritik, dass das Thema in den "Unterwelten" nicht angemessen vorkommt, nicht hinfällig wird].
[Darüber hinaus ist eine zunehmende Verengung auf historische Perspektiven allerdings nicht nur ein Tübinger Charakteristikum. Damit eng verbunden ist die Renaissance des Begriffs "Volkskunde" sowie eine Überbetonung historischer Themen. Dabei wird eine Stärke des Faches, nämlich die Verknüpfung von historischer Perspektive und Gegenwartskultur recht eindimensional zurechtgestutzt.]
"Ganz eindeutig zeigt sich bei der Forschung um und mit dem Internet eine gesellschaftliche Differenzierung der Akteure nach dem Alter, denn der Umgang mit dem Internet - und damit mit dem Computer und den vielfälitgen Möglichkeiten der Nutzung von Software (z.B. die gegenwärtig zum Teil ideologisch aufgeladene Entscheidung, Microsoft oder so genannte 'Open Source Software') und Hardware - wird inzwischen in jüngeren und mittel alten Gesellschaftsschichten als selbstverständlich vorausgesetzt."
Alter und Generationen werden inzwischen immer wieder als harter Indikator für soziale Ungleichheit verhandelt. Das stimmt schon in der Rentenfrage nicht und führt auch im Hinblick auf die Nutzung Neuer Medien von dem eigentlichen Digital Divide (der in der Forschung immer mehr mit Blick auf die Nutzungsweisen untersucht wird) weg. Zudem erscheint es mir langsam wieder an der Zeit, sich im Fach wieder auf die Vermittlung von Basiswissen zu den Kategorien sozialer Strukturierung zu besinnen. In diesem Sinne immer wieder empfehlenswert: Michael Vester (zusammen mit Peter von Oertzen/Heiko Geiling/Thomas Hermann/Dagmar Müller: Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen Integration und Ausgrenzung. Frankfurt/M. 2001.
"Sowohl im Privaten als auch in der beruflichen Sphäre bedeutet die Nichtteilnahme an der Kommunikation über das Internet für dieses Altersgruppierungen einen z.T. dramatischen Verlust nicht nur an Informations- und Arbeitsmöglichkeit, sondern auch an sozialen Austauschprozessen. Inwieweit eine Nichtteilnahme an diesen neuen Medien oder sogenannten Online-Communities neue Unterwelten überhaupt erst produziert, ist eine weitere relevante Frage für die Volkskunde."
Das klingt ein wenig nach volkspädagogischem Bemühen und dem Multimedia-Hype der Bangemann-Kommission aus Mitte der 90er Jahre. Eine "relevante Frage" kulturwissenschaftlicher Technikforschung ist darüber hinaus auch, woher der technikeuphorischen Diskurs seine Durchschlagskraft erhalten hat und welche soziale Gruppen denselben artikulieren (vgl. hierzu einige thesenhaften Überlegungen). Die angesprochenen Ungleichheiten haben ihre Ursache nicht im sogenannten Digital Divide (wenn überhaupt repräsentiert der Digital Divide diverse Formen von sozialer Ungleichheit). Vielmehr entsteht soziale Ungleichheit gegenwärtig als politisch gewollte soziale Entwicklung. "Relevant" wird die Frage, wenn man sie vom Kopf auf die Füße stellt und zeigt wie Nichtnutzung und Nutzung (sic!) bestehende soziale Praxen und Strukturierungen repräsentiert, ermöglicht oder verstärkt. By the way: Bereits aus den Cultural Studies der 70er Jahre (z.B. Willis 1979: "Spaß am Widerstand") wissen wir, dass auch bestimmte soziokulturelle Praxen (etwa in der Schule) zur sozialen Selbststigmatisierung beitragen können. Es ist daher weniger die Teilhabe am Internet das Problem, als vielmehr die Vermittlung zentraler (aktueller) Kulturtechniken angesagt, die zur Nutzung von Bildungsinhalten überhaupt erst befähigen. Dazu benötigt man aber keineswegs das Internet oder das Laptop im Klassenzimmer, sondern eine vernünftige Kindergarteninfrastruktur und Schulausbildung, die aber die neoliberale Politik nicht finanzieren will.
"Allerdings hat dieser Band keinen Fokus auf einen Kernbereich gegenwärtiger Alltagskultur, und zwar den Bereich Internet und Internetkultur. Dies ist zu bedauern, denn die von den Autoren beschriebenen 'Unterwelten' der Kultur lassen sich natürlich auch bzw. gerade in diesem typischen alltagskulturellen Feld finden, das aus der heutigen Berufs- und Alltagswelt nicht mehr wegzudenken ist. Dabei sind ebenen auch die im Band kurz angedeuteten Lebensstile von größter Bedeutung."
Allerdings werden hier auch Eulen nach Athen getragen, wenn vergessen wird, dass gerade in Tübingen 1998 das erste DFG-Projekt zur "Transformation von Alltagsbeziehungen von InternetnutzerInnen" durchgeführt wurde. Darüber hinaus ist es eben die Frage, ob es Sinn macht, "Internet und Internetkultur" als eigenen Forschungsgegenstand zum Kernbereich von Alltagskultur zu erheben. Hier würde ich widersprechen und vorschlagen, die Konvergenzen zwischen Online- und Offline-Welt ernst zu nehmen und die Nutzung von neuen Informations- und Kommunikationstechniken entweder in unterschiedlichen sozialen Gruppen oder im Kontext umfassenderer Aspekte von Alltagskultur zu untersuchen [womit aber die Kritik, dass das Thema in den "Unterwelten" nicht angemessen vorkommt, nicht hinfällig wird].
[Darüber hinaus ist eine zunehmende Verengung auf historische Perspektiven allerdings nicht nur ein Tübinger Charakteristikum. Damit eng verbunden ist die Renaissance des Begriffs "Volkskunde" sowie eine Überbetonung historischer Themen. Dabei wird eine Stärke des Faches, nämlich die Verknüpfung von historischer Perspektive und Gegenwartskultur recht eindimensional zurechtgestutzt.]
"Ganz eindeutig zeigt sich bei der Forschung um und mit dem Internet eine gesellschaftliche Differenzierung der Akteure nach dem Alter, denn der Umgang mit dem Internet - und damit mit dem Computer und den vielfälitgen Möglichkeiten der Nutzung von Software (z.B. die gegenwärtig zum Teil ideologisch aufgeladene Entscheidung, Microsoft oder so genannte 'Open Source Software') und Hardware - wird inzwischen in jüngeren und mittel alten Gesellschaftsschichten als selbstverständlich vorausgesetzt."
Alter und Generationen werden inzwischen immer wieder als harter Indikator für soziale Ungleichheit verhandelt. Das stimmt schon in der Rentenfrage nicht und führt auch im Hinblick auf die Nutzung Neuer Medien von dem eigentlichen Digital Divide (der in der Forschung immer mehr mit Blick auf die Nutzungsweisen untersucht wird) weg. Zudem erscheint es mir langsam wieder an der Zeit, sich im Fach wieder auf die Vermittlung von Basiswissen zu den Kategorien sozialer Strukturierung zu besinnen. In diesem Sinne immer wieder empfehlenswert: Michael Vester (zusammen mit Peter von Oertzen/Heiko Geiling/Thomas Hermann/Dagmar Müller: Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen Integration und Ausgrenzung. Frankfurt/M. 2001.
"Sowohl im Privaten als auch in der beruflichen Sphäre bedeutet die Nichtteilnahme an der Kommunikation über das Internet für dieses Altersgruppierungen einen z.T. dramatischen Verlust nicht nur an Informations- und Arbeitsmöglichkeit, sondern auch an sozialen Austauschprozessen. Inwieweit eine Nichtteilnahme an diesen neuen Medien oder sogenannten Online-Communities neue Unterwelten überhaupt erst produziert, ist eine weitere relevante Frage für die Volkskunde."
Das klingt ein wenig nach volkspädagogischem Bemühen und dem Multimedia-Hype der Bangemann-Kommission aus Mitte der 90er Jahre. Eine "relevante Frage" kulturwissenschaftlicher Technikforschung ist darüber hinaus auch, woher der technikeuphorischen Diskurs seine Durchschlagskraft erhalten hat und welche soziale Gruppen denselben artikulieren (vgl. hierzu einige thesenhaften Überlegungen). Die angesprochenen Ungleichheiten haben ihre Ursache nicht im sogenannten Digital Divide (wenn überhaupt repräsentiert der Digital Divide diverse Formen von sozialer Ungleichheit). Vielmehr entsteht soziale Ungleichheit gegenwärtig als politisch gewollte soziale Entwicklung. "Relevant" wird die Frage, wenn man sie vom Kopf auf die Füße stellt und zeigt wie Nichtnutzung und Nutzung (sic!) bestehende soziale Praxen und Strukturierungen repräsentiert, ermöglicht oder verstärkt. By the way: Bereits aus den Cultural Studies der 70er Jahre (z.B. Willis 1979: "Spaß am Widerstand") wissen wir, dass auch bestimmte soziokulturelle Praxen (etwa in der Schule) zur sozialen Selbststigmatisierung beitragen können. Es ist daher weniger die Teilhabe am Internet das Problem, als vielmehr die Vermittlung zentraler (aktueller) Kulturtechniken angesagt, die zur Nutzung von Bildungsinhalten überhaupt erst befähigen. Dazu benötigt man aber keineswegs das Internet oder das Laptop im Klassenzimmer, sondern eine vernünftige Kindergarteninfrastruktur und Schulausbildung, die aber die neoliberale Politik nicht finanzieren will.
kschoenberger - 14. Feb, 11:21
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