CATaC 06: Marju Lauristin über e-Estonia „Tiger turn to be a frog“
Gestern begann die internationale CATAC 06 an der Universität Tartu (Estland).
Keynote Speakerin war die "große estnische Sozialde-
mokratin" Marju Lauristin ("Grand Old Lady der estnischen Politik"):
„From Post-Communism to E-Society: Mythologies and Realities“
„In my presentation I shall give an insight into Estionia experience of post-Soviet transformation from the perspective of the role of ICTG in the formation of new national aspirations, self-perceptions and opportunities for People“.
Das war einmal eine ansprechende Eröffnung der CATAC-06-Konferenz. Keynote-Speakter Marju Lauristin („Professor Emeritus of Communication at Tartu University“) gelang in einer sehr ansprechenden Form ein durchaus programmatischer Wurf.
Anhand dem Beispiel Estlands entwickelte sie ihr Verständnis des Informatisierungsprozesses und seiner gesellschaftlichen Implikationen. [Eingangs betonte sie, dass auch in ihrer Universität die Mikrostudien sehr populär seien, sie ungeachtet dessen, in ihrem Beitrag eher die Makroperspektive einnehmen wolle.] Leider ist gerade dieser Beitrag nicht in dem umfangreichen Konferenz-Reader enthalten.
Marju Lauristin erinnerte zunächst an die Zeit der Sowjetunion, in der beispielsweise Daniel Bells Buch über die postindustrielle Gesellschaft (Die nachindustrielle Gesellschaft. Reinbek bei Hamburg 1979) nur im Giftschrank in einer Moskauer Bibliothek einsehbar war. Sie betonte die notwendig formalen Voraussetzungen und bürokratischen Hindernisse für sowjetische Forscher um ein Buch wie das von Bell einsehen zu können. Es kam auf den Vorwand an. In ihrem Fall musste die Forschung die Kritik des bürgerlichen Denkens zum Ziel haben. Noch interessanter allerdings war ihre Begründung, warum jemand wie Daniel Bell in der SU ein „forbidden author“ gewesen sei. Der Technikdeterminismus der marxistisch-lenistischen Ideologie war nämlich dem von Bell entgegengesetzt. Man glaubte damals in der SU, dass Technik bzw. Ihre Nutzung die Gesellschaft nicht verändern werde bzw. Keine Auswirkungen auf die Gesellschaft nach sich ziehen würde. Bei Daniel Bell war es genau andersherum. Er glaubt an die grundlegenden gesellschaftlichen Implikationen von Technik.
Das eigentliche Thema ihres Plenumsvortrages zielte aber auf die gesellschaftliche Entwicklung Estlands und die Rolle von ICT. Zunächst beschrieb sie die Rahmenbedingungen wie die „Ideologoy of Transition“ oder der „catch-up-the-West“-Diskurs, die überaus kompatibel zu den europäischen Diskursen über die „Informationsgesellschaft“ gewesen seien. Eine überaus „success-centered transition culture“ , eine Orientierung „according to standardized international indicators“, der Diskurs über „winners and looser“ sowie die Anschlussfähigkeit des Informationsgesellschafts-Diskurses „as an opportunity to make a shortcut to success“ gehörten zu den Rahmenbedingungen der Herausbildung von „e-Estonia“. In diesem Zusammenhang spricht sie von der „Mythology of 'e-Tigerleap'“.
Im Zusammenhang mit den Mythen über e-Estonia stellt sie fest, dass es in der Tat eine vergleichsweise gut ausgebildete ICT-Infrastruktur gebe, dass aber hinsichtlich ihrer Nutzung relativ unterentwickelte Praxen zu verzeichnen sind (Im Hinblick auf das berühmte „Empowerment of Groups“ fragte sie unter anderem: „What can do the groups with the new power?“)
Ein ebenfalls interessanter Aspekt war ihr Hinweis auf die Verknüpfung der sozialen Selbstwahrnehmung mit ihrer Internetnutzung. Tatsächlich fühlen sich multifunktional nutzende Internetnutzer in Estland weit mehr sozial herausgehoben, als andere: „It's not access, it's what you do.“ Offenbar korrelieren nicht mehr der reine Zugang („access is universal“) und Statusgefühl. Das entspricht zugleich der momentan sich allgemein vollziehenden Umorientierung der internationalen „Digital Divide“-Forschung weg von einer Perspektive auf den bloßen Zugang, hin zu einem Focus in Bezug auf die unterschiedlichen Art und Weisen das Internet zu nutzen.
Am Beispiel von Schule und Politik, die in Estland jeweils „well ICT-advanced“ unterstreicht sie gleichermaßen jene schon länger bestehende Erkenntnis, dass die Potenziale von Technik erst zur Entfaltung kommen können, wenn sie mit "organisational changement and social innovation" einhergehen. Im Falle Estlands bestehe aber das Problem, dass hierzu keine Wille bestehe. Nun sehen wir, dass Estlands zwar erfolgreich war, die technische Infrastruktur einzurichten, dass sie aber nicht wirklich bespielt werden kann. Im Anschluss an die Beschreibung der Diskurse und der Rahmenbedingungen verwies sie darauf, wie schließlich der „Tiger turn to be a frog“. Die Quintessenz ihrer Analyse lieferte wiederum der Technikdeterminist Daniel Bell (1973), der immerhin vor über dreißig Jahren betonte, dass die Probleme der post-industriellen Gesellschaft nicht in der Technik begründet seien, sondern politisch sind.
Keynote Speakerin war die "große estnische Sozialde-
mokratin" Marju Lauristin ("Grand Old Lady der estnischen Politik"):
„From Post-Communism to E-Society: Mythologies and Realities“
„In my presentation I shall give an insight into Estionia experience of post-Soviet transformation from the perspective of the role of ICTG in the formation of new national aspirations, self-perceptions and opportunities for People“.
Das war einmal eine ansprechende Eröffnung der CATAC-06-Konferenz. Keynote-Speakter Marju Lauristin („Professor Emeritus of Communication at Tartu University“) gelang in einer sehr ansprechenden Form ein durchaus programmatischer Wurf.
Anhand dem Beispiel Estlands entwickelte sie ihr Verständnis des Informatisierungsprozesses und seiner gesellschaftlichen Implikationen. [Eingangs betonte sie, dass auch in ihrer Universität die Mikrostudien sehr populär seien, sie ungeachtet dessen, in ihrem Beitrag eher die Makroperspektive einnehmen wolle.] Leider ist gerade dieser Beitrag nicht in dem umfangreichen Konferenz-Reader enthalten.
Marju Lauristin erinnerte zunächst an die Zeit der Sowjetunion, in der beispielsweise Daniel Bells Buch über die postindustrielle Gesellschaft (Die nachindustrielle Gesellschaft. Reinbek bei Hamburg 1979) nur im Giftschrank in einer Moskauer Bibliothek einsehbar war. Sie betonte die notwendig formalen Voraussetzungen und bürokratischen Hindernisse für sowjetische Forscher um ein Buch wie das von Bell einsehen zu können. Es kam auf den Vorwand an. In ihrem Fall musste die Forschung die Kritik des bürgerlichen Denkens zum Ziel haben. Noch interessanter allerdings war ihre Begründung, warum jemand wie Daniel Bell in der SU ein „forbidden author“ gewesen sei. Der Technikdeterminismus der marxistisch-lenistischen Ideologie war nämlich dem von Bell entgegengesetzt. Man glaubte damals in der SU, dass Technik bzw. Ihre Nutzung die Gesellschaft nicht verändern werde bzw. Keine Auswirkungen auf die Gesellschaft nach sich ziehen würde. Bei Daniel Bell war es genau andersherum. Er glaubt an die grundlegenden gesellschaftlichen Implikationen von Technik.
Das eigentliche Thema ihres Plenumsvortrages zielte aber auf die gesellschaftliche Entwicklung Estlands und die Rolle von ICT. Zunächst beschrieb sie die Rahmenbedingungen wie die „Ideologoy of Transition“ oder der „catch-up-the-West“-Diskurs, die überaus kompatibel zu den europäischen Diskursen über die „Informationsgesellschaft“ gewesen seien. Eine überaus „success-centered transition culture“ , eine Orientierung „according to standardized international indicators“, der Diskurs über „winners and looser“ sowie die Anschlussfähigkeit des Informationsgesellschafts-Diskurses „as an opportunity to make a shortcut to success“ gehörten zu den Rahmenbedingungen der Herausbildung von „e-Estonia“. In diesem Zusammenhang spricht sie von der „Mythology of 'e-Tigerleap'“.
Im Zusammenhang mit den Mythen über e-Estonia stellt sie fest, dass es in der Tat eine vergleichsweise gut ausgebildete ICT-Infrastruktur gebe, dass aber hinsichtlich ihrer Nutzung relativ unterentwickelte Praxen zu verzeichnen sind (Im Hinblick auf das berühmte „Empowerment of Groups“ fragte sie unter anderem: „What can do the groups with the new power?“)
Ein ebenfalls interessanter Aspekt war ihr Hinweis auf die Verknüpfung der sozialen Selbstwahrnehmung mit ihrer Internetnutzung. Tatsächlich fühlen sich multifunktional nutzende Internetnutzer in Estland weit mehr sozial herausgehoben, als andere: „It's not access, it's what you do.“ Offenbar korrelieren nicht mehr der reine Zugang („access is universal“) und Statusgefühl. Das entspricht zugleich der momentan sich allgemein vollziehenden Umorientierung der internationalen „Digital Divide“-Forschung weg von einer Perspektive auf den bloßen Zugang, hin zu einem Focus in Bezug auf die unterschiedlichen Art und Weisen das Internet zu nutzen.
Am Beispiel von Schule und Politik, die in Estland jeweils „well ICT-advanced“ unterstreicht sie gleichermaßen jene schon länger bestehende Erkenntnis, dass die Potenziale von Technik erst zur Entfaltung kommen können, wenn sie mit "organisational changement and social innovation" einhergehen. Im Falle Estlands bestehe aber das Problem, dass hierzu keine Wille bestehe. Nun sehen wir, dass Estlands zwar erfolgreich war, die technische Infrastruktur einzurichten, dass sie aber nicht wirklich bespielt werden kann. Im Anschluss an die Beschreibung der Diskurse und der Rahmenbedingungen verwies sie darauf, wie schließlich der „Tiger turn to be a frog“. Die Quintessenz ihrer Analyse lieferte wiederum der Technikdeterminist Daniel Bell (1973), der immerhin vor über dreißig Jahren betonte, dass die Probleme der post-industriellen Gesellschaft nicht in der Technik begründet seien, sondern politisch sind.
kschoenberger - 30. Jun, 07:53
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