Forschungskolleg meets Hermann Bausinger: Über "Volkskultur in der technischen Welt" (5)
Hermann Bausinger veröffentlichte 1961 seine Habilitationsschrift "Volkskultur in der technischen Welt", die bereits den Sprung von der Volkskunde zur Empirischen Kulturwissenschaft, die erst Ende 60er Jahre vollendet wurde, antizipierte.
Im Rahmen des II. Kongresses Kulturwissenschaftliche Technikforschung war ein Podiumssgespräch zwischen Hermann Bausinger und Thomas Hengartner angesetzt, in dem der Einfluss und die aktuelle Bedeutung dieses inzwischen mehrfach übersetzten grundlegenden Werkes diskutiert werden sollte. Die Mitglieder des Forschungskollegs waren im Vorfeld aufgerufen, kurze Statements zur Einschätzung des Buches und zur Bedeutung für ihre je eigenen Forschungsprojekte abzugeben.
Eingangs ging es um die Gestaltung des Titelbildes von "Volkskultur .." in der Kohlhammer-Ausgabe von 1961. Daneben wird ein aktuelles Photo aus der von Hamburger Studierenden gestalteten Ausstellung "Gegenwart und Zukunft der Kommunikation" gestellt.
T. Hengartner fragt H. Bausinger, inwieweit er an der Titelbildgestaltung beteiligt gewesen sei. H. Bausinger berichtet, dass es ihnen damals darum ging, auf dem Titel eines Buches zur "Volkskultur" im Brechtschen Sinne von "Bevölkerung" und nicht mehr im alten volkskundlichen Sinne von "Volk" zu illustrieren (Er weist nochmals darauf hin, dass ihm dieses Brechtzitat aus den 30er Jahren gleich zu Beginn seines Buches seinerzeit sehr viel Kritik eingebracht hatte - ist ja auch klar, die ahnten schon, was noch auf sie zukommen würde).
Im Gesprächsverlauf zeigt sich H. Bausinger überrascht über das Interesse an dem Buch, weil es doch eine vergangene Situation des Faches reflektiere. Das damalige Umstelltsein von Schneewittchen und Bauernhäusern sei heute doch nicht mehr gegeben. Dennoch zeugen die jüngsten Übersetzungen ins Italienische aber auch ins Japanische wohl doch von einem gewissen Interesse bzw. auch von einer gewissen Aktualität des Buches, das schließlich auf einen Stand der Technik von bald vor 50 Jahren verweise.
Für T. Hengartner spiegelt sich die Aktualität des Buches darin, dass neben der immer noch anhaltenden "Gefügeforschung in unserer Disziplin, gegen die ich prinzipiell nicht habe" vor allem ein notwendigen Neuerungsimpuls, den das Buch für unterschiedliche Generationen im Fach offensichtlich immer wieder bewirkt habe und immer wieder bewirke.
Technik als Querschnittsdimension
H. Bausinger nickte bei der vorgetragenen Einschätzung aus dem Kolleg, dass die "Volkskultur ..." sich dadurch auszeichne, Technik eben nicht als zusätzliches Kanonelement gefordert zu haben. Daher stimmt er auch der Hypothese von der "Technik als Querschnittsdimension" (gerade auch im Kontext eines messbaren Bedeutungszuwachses von alltäglicher Techniknutzung) zu, gibt aber doch zu bedenken, dass sich doch eines geändert habe: Nämlich habe die gegenwärtige Ausdifferenzierung des Technischen, dazu geführt, dass es heute kaum mehr möglich sei, dass im Hinblick auf das Verständnis von Technik die ältere und die jüngere Generation auf einen gemeinsamen Wissensstand verweisen könne, gemeinsam überblickt und verstanden werden. In diesem Sinne konstatiert er einen stärkeren Bruch zwischen den Generationen als der noch vor 15-20 Jahren bestanden habe. Ihmzufolge habe es zuvor keinen derart qualitativ unterschiedlichen generellen Unterschied im Gebrauch von Technik gegeben, wie ihm das heute erscheine.
T. Hengartner hingegen löckt dabei ein wenig den Stachel und führt das Transistorradio als Beispiel für frühere Generationdifferenzierung an. H. Bausinger hingegen fragt, was die Vervielfachung der Medienkanäle qualitativ bedeute. So erschwere die Vielfalt heute, ein gemeinsames Bild von Technik zu haben.
Darüber hinaus konstatiert H. Bausinger ein nüchterneres Verhältnis zur Technik als in der Zeit des Erscheinens der "Volkskultur in ". Die Identifikation mit der Technik sei in dieser Zeit sehr viel intensiver gewesen. Das führte in der nachhfolgenden Diskussion allerdings zu einigem Widerspruch.
H. Bausinger fordert ,die kulturwissenschaftliche Technikforschung auf, Technik nicht überzuwerten. Das Fach benötige keine Technikspezialisten, sondern Techniknutzung und Technik müsse in ihrer je gesellschaftlichen Funktion untersucht werden. Es dürfe nicht so weit kommen, dass ähnlich wie bei den "Gefügeforschung" Spezialisten für diese oder jene Region und die dort auffindbaren Formen gezimmerter Holzgerüste und nun eben spezifischer Techniklinien hervorgebracht werden. Angesichts der ihm offenbar unheimlichen Vielfalt und des Umfangs des Kongressprogramms erinnert er daran, dass auch die Technikforschung nicht nur Technik untersuchen dürfe.
Normative Aufgabe des Faches
In diesem Zusammenhang wechselt H. Bausinger die Ebene der Argumentation und fordert ein normatives Vorgehen. Etwa in dem Sinne, dass die Kulturwissenschafltiche Technikforschung darauf hinzuweisen habe, dass beispielsweise der gesellschaftliche Trend zu technisierter Kommunikation Gegenstand der Kritik sein müsse. Das Fach habe eben auch "offline-Forschung" zu betreiben. Zugleich - so sein auch explizit gemachten normativen Impetus solle deutlich gemacht werden, dass nichttechnische Kommunikation wertvoller sei, humaner und mitunter sozialer.
Kulturspezifik und nationale Besonderheiten
In der anschließenden Diskussion geht es im Publikum in kontroverser Weise insbesondere um das Thema "Nüchternheit in der Gegenwart" und den Stellenwert kulturalistischer und nationaler Unterschiede. Insbesondere im Kontext der Erklärungskraft kulturspezifischer und nationaler Kategorien wird die vielfältige Zusammensetzung des Kongresses deutlich. Dabei wird klar, dass der Ansatz Kulturwissenschaftlicher Technikforschung, kulturelle Zuschreibungen nicht als Erklärung und Analysekategorie zu nehmen, sondern als Diskurse und Gegenstand der Analyse anzusehen, nicht unbedingt selbstverständlich ist. Die Kulturwissenschaftliche Technikforschung unterscheidet eben zwischen Praktiken und Praxen und den Deutungen und Erzählungen (etwa die kulturalistische Deutung der Praktiken durch die Subjekte selbst) auf der anderen Seite.
Gelungenes Experiment
Insofern kann das Experiment als gelungen ansehen. Das Buch "Volkskultur in der technischen Welt" ist offensichtlich immer noch in der Lage, die gegenwärtigen Diskussionen zu inspirieren. Hermann Bausinger war sehr skeptisch ob dieses Veranstaltungsformates, aber der Abend hat doch deutlich gemacht, dass eine solche Beschäftigung mit der Disziplingeschichte nach wie vor aktuelle Bezüge aufweist und Möglichkeiten der Intervention bietet.
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Im Rahmen des II. Kongresses Kulturwissenschaftliche Technikforschung war ein Podiumssgespräch zwischen Hermann Bausinger und Thomas Hengartner angesetzt, in dem der Einfluss und die aktuelle Bedeutung dieses inzwischen mehrfach übersetzten grundlegenden Werkes diskutiert werden sollte. Die Mitglieder des Forschungskollegs waren im Vorfeld aufgerufen, kurze Statements zur Einschätzung des Buches und zur Bedeutung für ihre je eigenen Forschungsprojekte abzugeben.
Eingangs ging es um die Gestaltung des Titelbildes von "Volkskultur .." in der Kohlhammer-Ausgabe von 1961. Daneben wird ein aktuelles Photo aus der von Hamburger Studierenden gestalteten Ausstellung "Gegenwart und Zukunft der Kommunikation" gestellt.
T. Hengartner fragt H. Bausinger, inwieweit er an der Titelbildgestaltung beteiligt gewesen sei. H. Bausinger berichtet, dass es ihnen damals darum ging, auf dem Titel eines Buches zur "Volkskultur" im Brechtschen Sinne von "Bevölkerung" und nicht mehr im alten volkskundlichen Sinne von "Volk" zu illustrieren (Er weist nochmals darauf hin, dass ihm dieses Brechtzitat aus den 30er Jahren gleich zu Beginn seines Buches seinerzeit sehr viel Kritik eingebracht hatte - ist ja auch klar, die ahnten schon, was noch auf sie zukommen würde).
Im Gesprächsverlauf zeigt sich H. Bausinger überrascht über das Interesse an dem Buch, weil es doch eine vergangene Situation des Faches reflektiere. Das damalige Umstelltsein von Schneewittchen und Bauernhäusern sei heute doch nicht mehr gegeben. Dennoch zeugen die jüngsten Übersetzungen ins Italienische aber auch ins Japanische wohl doch von einem gewissen Interesse bzw. auch von einer gewissen Aktualität des Buches, das schließlich auf einen Stand der Technik von bald vor 50 Jahren verweise.
Für T. Hengartner spiegelt sich die Aktualität des Buches darin, dass neben der immer noch anhaltenden "Gefügeforschung in unserer Disziplin, gegen die ich prinzipiell nicht habe" vor allem ein notwendigen Neuerungsimpuls, den das Buch für unterschiedliche Generationen im Fach offensichtlich immer wieder bewirkt habe und immer wieder bewirke.
Technik als Querschnittsdimension
H. Bausinger nickte bei der vorgetragenen Einschätzung aus dem Kolleg, dass die "Volkskultur ..." sich dadurch auszeichne, Technik eben nicht als zusätzliches Kanonelement gefordert zu haben. Daher stimmt er auch der Hypothese von der "Technik als Querschnittsdimension" (gerade auch im Kontext eines messbaren Bedeutungszuwachses von alltäglicher Techniknutzung) zu, gibt aber doch zu bedenken, dass sich doch eines geändert habe: Nämlich habe die gegenwärtige Ausdifferenzierung des Technischen, dazu geführt, dass es heute kaum mehr möglich sei, dass im Hinblick auf das Verständnis von Technik die ältere und die jüngere Generation auf einen gemeinsamen Wissensstand verweisen könne, gemeinsam überblickt und verstanden werden. In diesem Sinne konstatiert er einen stärkeren Bruch zwischen den Generationen als der noch vor 15-20 Jahren bestanden habe. Ihmzufolge habe es zuvor keinen derart qualitativ unterschiedlichen generellen Unterschied im Gebrauch von Technik gegeben, wie ihm das heute erscheine.
T. Hengartner hingegen löckt dabei ein wenig den Stachel und führt das Transistorradio als Beispiel für frühere Generationdifferenzierung an. H. Bausinger hingegen fragt, was die Vervielfachung der Medienkanäle qualitativ bedeute. So erschwere die Vielfalt heute, ein gemeinsames Bild von Technik zu haben.
Darüber hinaus konstatiert H. Bausinger ein nüchterneres Verhältnis zur Technik als in der Zeit des Erscheinens der "Volkskultur in ". Die Identifikation mit der Technik sei in dieser Zeit sehr viel intensiver gewesen. Das führte in der nachhfolgenden Diskussion allerdings zu einigem Widerspruch.
H. Bausinger fordert ,die kulturwissenschaftliche Technikforschung auf, Technik nicht überzuwerten. Das Fach benötige keine Technikspezialisten, sondern Techniknutzung und Technik müsse in ihrer je gesellschaftlichen Funktion untersucht werden. Es dürfe nicht so weit kommen, dass ähnlich wie bei den "Gefügeforschung" Spezialisten für diese oder jene Region und die dort auffindbaren Formen gezimmerter Holzgerüste und nun eben spezifischer Techniklinien hervorgebracht werden. Angesichts der ihm offenbar unheimlichen Vielfalt und des Umfangs des Kongressprogramms erinnert er daran, dass auch die Technikforschung nicht nur Technik untersuchen dürfe.
Normative Aufgabe des Faches
In diesem Zusammenhang wechselt H. Bausinger die Ebene der Argumentation und fordert ein normatives Vorgehen. Etwa in dem Sinne, dass die Kulturwissenschafltiche Technikforschung darauf hinzuweisen habe, dass beispielsweise der gesellschaftliche Trend zu technisierter Kommunikation Gegenstand der Kritik sein müsse. Das Fach habe eben auch "offline-Forschung" zu betreiben. Zugleich - so sein auch explizit gemachten normativen Impetus solle deutlich gemacht werden, dass nichttechnische Kommunikation wertvoller sei, humaner und mitunter sozialer.
Kulturspezifik und nationale Besonderheiten
In der anschließenden Diskussion geht es im Publikum in kontroverser Weise insbesondere um das Thema "Nüchternheit in der Gegenwart" und den Stellenwert kulturalistischer und nationaler Unterschiede. Insbesondere im Kontext der Erklärungskraft kulturspezifischer und nationaler Kategorien wird die vielfältige Zusammensetzung des Kongresses deutlich. Dabei wird klar, dass der Ansatz Kulturwissenschaftlicher Technikforschung, kulturelle Zuschreibungen nicht als Erklärung und Analysekategorie zu nehmen, sondern als Diskurse und Gegenstand der Analyse anzusehen, nicht unbedingt selbstverständlich ist. Die Kulturwissenschaftliche Technikforschung unterscheidet eben zwischen Praktiken und Praxen und den Deutungen und Erzählungen (etwa die kulturalistische Deutung der Praktiken durch die Subjekte selbst) auf der anderen Seite.
Gelungenes Experiment
Insofern kann das Experiment als gelungen ansehen. Das Buch "Volkskultur in der technischen Welt" ist offensichtlich immer noch in der Lage, die gegenwärtigen Diskussionen zu inspirieren. Hermann Bausinger war sehr skeptisch ob dieses Veranstaltungsformates, aber der Abend hat doch deutlich gemacht, dass eine solche Beschäftigung mit der Disziplingeschichte nach wie vor aktuelle Bezüge aufweist und Möglichkeiten der Intervention bietet.
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kschoenberger - 1. Jun, 18:41
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