SHOT revisited (Schluss) – Montag und Dienstag, 13./14. Oktober 2008
Tagungsbericht: 50th Annual Meeting der Society for the History of Technology, 11.–14. Oktober 2008 in Lissabon
[die abstracts der Sessions sind abrufbar unter -> conference schedule]
Die ersten Sessions des Montags behandelten vornehmlich „Technikhistorikklassiker“, wobei ein Schwerpunkt auf den Standardisierungsanstrengungen im 20. Jh. lag. Eine Session mit dem Titel „Measuring Bodies, Standardizing Subjects“ behandelte den Menschen als Standardisierungsprojekt und seine Vermessung im Kontext neuer Technologien. Am „Problem of the Human Body in Airplanes, Food, and Airplane Food During WW II and Beyond“ beschrieben die Papers die historische Entwicklung bestimmter Normen, die zu Ergebnissen wie der „K Ration“ der amerikanischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg (Sarah W. Tracy, Honors College, University of Oklahoma) führten. Die Parallelsession „Containerization and Intermodal Freight Transportation in Historical Perspective – Regulation, Innovation and Globalization, 1920–1970. Das Panel wurde von Bruce Seely (College of Sciences and Arts, Michigan Tech) und Arthur Donovan (US Merchant Marine Academy) organisiert, die selbst auch papers vorstellten. Die Veranstaltung unterstrich in historischer Perspektive noch einmal die Wichtigkeit von standardisierten Transportmitteln für den Handel – erst ein Format, das zwischen Schiff, Eisenbahn und LKW austauschbar war, führte zu den enormen Effizienzsteigerungen und Kostenreduktionen im Transportwesen, das damit neue Organisationsformen für Unternehmen ermöglichte. Ein besonderer Schwerpunkt lag auf den Darstellungen des Zusammenspiels staatlicher Regularien mit technischen Veränderungen „during periods of rapid technical change“ (vgl. session abstract), der verdeutlichte, dass staatliche Akteure bei der Verhandlung von neuen Technologien auch Gestaltungsspielräume nutzen können, die einen Einfluss auf die Beschaffenheit der Technik haben.
Am Nachmittag lotete ein Panel zum Thema „Medical Technology“ die Kontroversen zwischen Kulturen und neuen medizinischen Möglichkeiten aus. Alle drei Referate behandelten Themen aus dem Bereich der medizinisch unterstützten Reproduktion und Schwangerschaft. Neben Paula Viterbo (Bryn Mawr College, PA, zum Thema „,Natural’ Contraception“) und Bridget E. Gurtler (Rutgers University-New Brunswick, zum Thema Künstliche Befruchtung in historischer Perspektive), untersuchte Marianna Tolia (Technical University of Athens) die „Woman/ User Perspective on the IVF Technologies in Greece as Manifested in the Net“. Dabei untersuchte sie die Perzeption künstlicher Reproduktionstechnologien (ART) in Griechenland; im Fokus ihres Interesses standen dabei vornehmlich weibliche Nutzerinnen von Online-Foren zum Thema In-Vitro-Fertilisation (IVF). Im griechischen Kontext sei von den Frauen viel Mitarbeit (work) erforderlich, die es zu erforschen gelte. Unterschiedliche Faktoren träfen hier zusammen: ein nicht funktionierendes Gesundheitssystem und Misstrauen gegenüber den Ärzten, gepaart mit der Abwesenheit einer funktionierenden Regulierungsbehörde und einem intensiv bearbeiteten Markt trügen hier zu einer Verunsicherung der NutzerInnen der ART bei, mit denen sie allein gelassen seien. Die Behandlung müsste also nicht einfach nur in das Alltagsleben der user integriert werden, sondern diese müssen selbstständig versuchen, ihr Misstrauen gegenüber dem medizinischen Establishment auszubalancieren, Unabhängigkeit in der Erlangung von Informationen zu erreichen und darüber hinaus die Kosten zu reduzieren (wirtschaftliche Situation anders als in „klassischen“ ART-Märkten, z.B. USA). Dabei ist das Internet von großer Bedeutung, da es mit den Anforderungen der NutzerInnen korrespondiert. Mit Hilfe virtueller Kommunikation können hier die Mitglieder verschiedener Gruppen sich in einer community austauschen und so Informationen von anderen ART-Nutzerinnen aus erster Hand erhalten und weitergeben. Ein weiterer Vorteil des Internets ist die Anonymität und nicht-personale Kommunikation, da Unfruchtbarkeit ein in Griechenland gesellschaftlich tabuisiertes Thema sei. Weiterhin ermögliche es die ermöglichen es emoticons, dieses emotional aufgeladene Thema auf einer persönlicheren Ebene zu verhandeln, als dies mit rein verbalen Äußerungen möglich sei. Im Ergebnis trage die Internet-Technologie dazu bei, einen geschützten und hoch emotionalen Raum zu schaffen, der die Wissensproduktion für die NutzerInnen ermögliche.
In ihrem Kommentar stellte Michi Knecht (Humboldt-Universität zu Berlin) zunächst fest, dass die ART/IVF-Technologien zwar das Verständnis von Empfängnis und Reproduktion verändert hätten, einem breiteren Publikum jedoch nach wie vor unbekannt seien. Kapital, Pharmazien und Wissen zirkulieren weltweit, letztendlich werden sie jedoch in regionalen Kontexten angewendet – die Überkreuzungen fordern vorhandenes Wissen bei den ART-NutzerInnen heraus und machen Neuordnungen nötig. Knecht schlug vor, die historische Perspektive in der Forschung zu diesem Thema stärker zu berücksichtigen, so sei z.B. die Möglichkeit, Kontrolle (control / regularisation) über den Körper auszuüben eines der Hauptmotive der Moderne und auch erst in dieser entstanden.
Die interessanteste Sitzung der Konferenz – schließt man sich einem Kommentar aus dem Plenum an – widmete sich unter dem Titel „Techno-Cocooning: Cultural Histories of Mobile Capsules“ dem Herstellen von Räumen durch Klang. Das „technische Einkapseln“ in einen Klangraum in seiner historischen Dimension wurde dabei am Beispiel Automobil, aber auch am Walkman/MP3-Player dargestellt.
Der erste Vortrag von Christopher McDonald (Graduate Study in History, Princeton) untersuchte, wie das Autoradio in der Zeit zwischen 1929-59 zu einem „Companion“ wurde, das Langeweile oder Einsamkeit vertreiben half und eine Brücke zur Außenwelt für den Fahrer darstellte (Creating a Companion in the Car: Car Radio in America as a Technology Hybrid).
Die zentralen Vorträge des Panels referieren die Panel-Organisatoren Karin Bijsterveld und Gijs Mom. Karin Bijsterveld (Dept. Of Technology & Society Studies, Universiteit Maastricht) nahm das Thema Autoradio auf und erweiterte es zeitlich und thematisch. In ihrem Vortrag „Acoustic Cocooning: Ho the Car Became a Place to Relax (Europe, 1920s–1990s)“ stellte sie dar, wie „Ruhe” ein Standard der Autovermarktung wurde. Ruhe wird neuerdings nicht mehr in Verbindung mit Einsamkeit gebracht, die vom Autoradio übertönt werden muss, sondern mit Kontrolle darüber, wer bzw. welche Geräusche Zugang zum persönlichen Nahraum haben (oder nicht). Bijsterveld weist dies an Hand von Vermarktungsstrategien (Autowerbung, Philips-Autoradio) nach, die insbesondere seit den 1990er Jahren auf die „sonic qualities“ der Autos abhebt. Vor dem Hintergrund der „Erlebnisgesellschaft“ (Gerhard Schulze) treffen Strategien, das Auto als Klangerlebnis zu designen und zu vermarkten, offenbar Bedürfnisse der mobilen Nutzer.
Den Gedanken der Umweltkontrolle macht Gijs Mom (Dept. Technology, Innovation & Society, Technische Universiteit Eindhoven) zum zentralen Thema seines Vortrages „Cultures of Control: Sensorial Struggles in the Automobile, 1920s–1990s“. Er periodisiert an Hand einer Literaturanalyse, die sich auf das sinnliche Erleben bei der Autofahrt konzentriert (Proust (1907) z. B. beschrieb das Autofahren als „multisensorial trip“), drei Phasen des Cocooning: Bis zum 1. Weltkrieg wurde das Auto als geschlossener und schützender Körper gesehen (shell), in der Zwischenkriegsperiode als Raum auf Rädern (capsule), seit der Nachkriegszeit als „corridor“, der Privatheit in der Öffentlichkeit ermöglicht. Alle drei Rezeptionen des Automobils weisen die Gemeinsamkeit auf, sich von der Umwelt zu distanzieren.
Einen ganz anderen Blick auf mobiles Cocooning wirft Heike Weber (Institut für Philosophie, TU Berlin). Sie verbindet in ihrem Vortrag „Head Cocoons“ zwei Kontexte, Musikkultur und Mobilitätskultur. Wie die Zeitung dem bürgerlichen Reisenden zur Abschottung dien(t)e, schaffe nun der Kopfhörer eben diesen Privatraum, indem er akustische Abgrenzung ermöglicht.
In der Diskussion wurde herausgehoben, dass die historische Erforschung von technischen Klangwelten in der Technikgeschichte bisher ein Forschungsdesiderat gewesen sei und sich gerade zu einem breiteren Forschungsgebiet entwickelt, wie die breit rezipierten Studien Bijstervelds (Mechanical Sound, 2008) oder Susan J. Douglas’ (Listening In: radio and the American imagination, 1999) zeigen. So sind das Flugzeug, oder das Radio samt seiner Archivbestände „technische Leitfossile“, die unsere akustische Wahrnehmung und damit unsere alltäglichen Erfahrungen mitbestimmen. Da die Session-papers vor allem das Cocooning, also den Schutz vor unerwünschtem Klang betonten, tauchte in der Diskussion auch die Frage auf, ob Cocooning schlechterdings vielleicht unmöglich sei – gerade beim Autofahren träfen den Fahrer ständige Handlungsaufforderungen des Verkehrs, die einen Rückzug ausschlössen. Auch gebe es gegenläufige Tendenzen – Porsche etwa arbeitet an immer lauteren Motorengeräuschen, andere PKW-Besitzer bauen sich „boom boxen“ ein. Gerade diese Beispiele, so Bijsterveld, wiesen jedoch darauf hin, dass Kontrolle über den Klang erlangt werden wolle – eines der Merkmale des Cocoonings. Ein weiterer Kritikpunkt waren die Daten, da schwerpunktmäßig auf der Basis von Autowerbung analysiert wurde. Es ist hier zu wünschen, dass neben den klassischen klangökologischen Theoremen verstärkt auch ethnografisch-kulturanthropologische Forschungen über die Sinne und damit die Alltagserfahrungen breiterer Gruppen in der Technikgeschichte Berücksichtigung finden.
Leider sah das Tagungsprogramm keine Abschlussdiskussion vor, sodass am letzten Vormittag die Sessions in gehabter Art und Weise weitergeführt wurden. Obwohl sie parallel mit weiteren Sessions stattfand, konnte diese Lücke teilweise durch die Session 66, „Science, Technology, and the Social Functions of Our Disciplinary Boundaries OR Is SHOT Necessary?” gefüllt werden. (Angelehnt war der Titel an das Büchlein „Is Sex necessary“? (Thurber/ White 1929), das auf humorvolle Weise (OK, 20er Jahre Humor ...) die psychologischen Verstrickungen des (weißen männlichen) Mittelklasse-Amerikas bei/m Partner-Suche/ -Wahl und -Sein behandelt und als Klassiker dieser Art Ratgeberliteratur gilt.) Die „Round-Table-Conversation“ konstatierte eher zu wenige Verstrickungen - zwischen den Histories of Technology und Science. Organisiert hatte das Panel Amy Slaton (Dept. of History and Politics, Drexel University), es begann mit einem Impulsreferat von Maria Rentetzi (Dept. of Humanities, Social Sciences and Law, National Technical University of Athens), die das Labor als Beispiel des Zusammenwirkens von „Wissenschaft und Technik“ in den Mittelpunkt ihres Referats stellte. Ihre Bildanalyse der historischen Entwicklung von Apparaten der Radiophysik an Hand historischer Fotos kennzeichnete das Labor als eines der Hauptbeschäftigungsfelder der History of Science - und als Verbindung zwischen Wissenschaft und Technik, da es Menschen und Apparate kontextualiesiere. Da ihre Forschungen dabei einen Schwerpunkt auf Gender (Wissenschaftlerinnen im Institut für Radiumforschung Wien, erste Hälfte des 20. Jh.) legen, kam das Gespräch schnell auf die Themenkomplexe Gender, Race, Class zu sprechen. Wie diese sozialwissenschaftlichen Konzepte in die History of Technology einbezogen werden könnten, wurde als eine der drängenden Fragen ausgemacht. Ziel der historischen Technikforschung dürfe es nicht nur sein, Fallstudien anzufertigen, sondern auch auf sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zu beziehen. So werden Studien in soziologisch-philosophischer Ausrichtung wie die SCOT oder STS im Fach breit rezipiert. Eine weitere Herausforderung für die History of Technology ist dabei, wie die dritte Podiumsdiskutantin Jessica Wang (Dept. of History, University of British Columbia) betonte, das Überbrücken des „Science-Technology Divide“. So sei es auch die Aufgabe der History of Technology, neben Innovationen und Innovationsprozessen verstärkt auch die Produktion und Zirkulation von Wissen zu untersuchen. Auch im Hinblick auf den wissenschaftlichen Nachwuchs könnte die größere Einbeziehung von z. B. Genderfragen oder anderer Themen von gesellschaftlicher Relevanz das Interesse am Fach mehren.
Viele Beiträge haben gezeigt, dass diese interdisziplinäre Herausforderung angenommen wird und neue Konzepte, wie die „New-Approaches“ oder „Cocooning“-Sessions zeigten, im Fach erprobt werden. Ähnlich äußerte sich auch Steve Usselman (School of History, Technology, and Society, Georgia Institute of Technology), zum Tagungszeitpunkt Präsident der Society, in seiner „Presidential Adress“. Er encouragierte die Forscher_innen zu „dichten Beschreibungen“ und versicherte, dass SHOT weiterhin „the best country“ in der Wissenschaftslandschaft sei, um Technik unter verschiedensten Forschungsinteressen zu untersuchen.
Das nächste Annual Meeting findet vom 15.–19. Oktober 2009 in Pittsburgh, Pennsylvania, statt. Dem portugiesischen Planungsteam unter der Leitung von Maria Paula Diogo (Centro de História das Ciências, Universidade de Lisboa) ist für die tolle Organisation der Tagung zu danken. Die Atmosphäre des Arts Hotel auf dem Expogelände Lissabons, das auf die Tagung abgestimmte Begleitprogramm und die Stadt selbst regten sehr zu vielerlei Diskussionen und Gedankenaustausch an.
[die abstracts der Sessions sind abrufbar unter -> conference schedule]
Die ersten Sessions des Montags behandelten vornehmlich „Technikhistorikklassiker“, wobei ein Schwerpunkt auf den Standardisierungsanstrengungen im 20. Jh. lag. Eine Session mit dem Titel „Measuring Bodies, Standardizing Subjects“ behandelte den Menschen als Standardisierungsprojekt und seine Vermessung im Kontext neuer Technologien. Am „Problem of the Human Body in Airplanes, Food, and Airplane Food During WW II and Beyond“ beschrieben die Papers die historische Entwicklung bestimmter Normen, die zu Ergebnissen wie der „K Ration“ der amerikanischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg (Sarah W. Tracy, Honors College, University of Oklahoma) führten. Die Parallelsession „Containerization and Intermodal Freight Transportation in Historical Perspective – Regulation, Innovation and Globalization, 1920–1970. Das Panel wurde von Bruce Seely (College of Sciences and Arts, Michigan Tech) und Arthur Donovan (US Merchant Marine Academy) organisiert, die selbst auch papers vorstellten. Die Veranstaltung unterstrich in historischer Perspektive noch einmal die Wichtigkeit von standardisierten Transportmitteln für den Handel – erst ein Format, das zwischen Schiff, Eisenbahn und LKW austauschbar war, führte zu den enormen Effizienzsteigerungen und Kostenreduktionen im Transportwesen, das damit neue Organisationsformen für Unternehmen ermöglichte. Ein besonderer Schwerpunkt lag auf den Darstellungen des Zusammenspiels staatlicher Regularien mit technischen Veränderungen „during periods of rapid technical change“ (vgl. session abstract), der verdeutlichte, dass staatliche Akteure bei der Verhandlung von neuen Technologien auch Gestaltungsspielräume nutzen können, die einen Einfluss auf die Beschaffenheit der Technik haben.
Am Nachmittag lotete ein Panel zum Thema „Medical Technology“ die Kontroversen zwischen Kulturen und neuen medizinischen Möglichkeiten aus. Alle drei Referate behandelten Themen aus dem Bereich der medizinisch unterstützten Reproduktion und Schwangerschaft. Neben Paula Viterbo (Bryn Mawr College, PA, zum Thema „,Natural’ Contraception“) und Bridget E. Gurtler (Rutgers University-New Brunswick, zum Thema Künstliche Befruchtung in historischer Perspektive), untersuchte Marianna Tolia (Technical University of Athens) die „Woman/ User Perspective on the IVF Technologies in Greece as Manifested in the Net“. Dabei untersuchte sie die Perzeption künstlicher Reproduktionstechnologien (ART) in Griechenland; im Fokus ihres Interesses standen dabei vornehmlich weibliche Nutzerinnen von Online-Foren zum Thema In-Vitro-Fertilisation (IVF). Im griechischen Kontext sei von den Frauen viel Mitarbeit (work) erforderlich, die es zu erforschen gelte. Unterschiedliche Faktoren träfen hier zusammen: ein nicht funktionierendes Gesundheitssystem und Misstrauen gegenüber den Ärzten, gepaart mit der Abwesenheit einer funktionierenden Regulierungsbehörde und einem intensiv bearbeiteten Markt trügen hier zu einer Verunsicherung der NutzerInnen der ART bei, mit denen sie allein gelassen seien. Die Behandlung müsste also nicht einfach nur in das Alltagsleben der user integriert werden, sondern diese müssen selbstständig versuchen, ihr Misstrauen gegenüber dem medizinischen Establishment auszubalancieren, Unabhängigkeit in der Erlangung von Informationen zu erreichen und darüber hinaus die Kosten zu reduzieren (wirtschaftliche Situation anders als in „klassischen“ ART-Märkten, z.B. USA). Dabei ist das Internet von großer Bedeutung, da es mit den Anforderungen der NutzerInnen korrespondiert. Mit Hilfe virtueller Kommunikation können hier die Mitglieder verschiedener Gruppen sich in einer community austauschen und so Informationen von anderen ART-Nutzerinnen aus erster Hand erhalten und weitergeben. Ein weiterer Vorteil des Internets ist die Anonymität und nicht-personale Kommunikation, da Unfruchtbarkeit ein in Griechenland gesellschaftlich tabuisiertes Thema sei. Weiterhin ermögliche es die ermöglichen es emoticons, dieses emotional aufgeladene Thema auf einer persönlicheren Ebene zu verhandeln, als dies mit rein verbalen Äußerungen möglich sei. Im Ergebnis trage die Internet-Technologie dazu bei, einen geschützten und hoch emotionalen Raum zu schaffen, der die Wissensproduktion für die NutzerInnen ermögliche.
In ihrem Kommentar stellte Michi Knecht (Humboldt-Universität zu Berlin) zunächst fest, dass die ART/IVF-Technologien zwar das Verständnis von Empfängnis und Reproduktion verändert hätten, einem breiteren Publikum jedoch nach wie vor unbekannt seien. Kapital, Pharmazien und Wissen zirkulieren weltweit, letztendlich werden sie jedoch in regionalen Kontexten angewendet – die Überkreuzungen fordern vorhandenes Wissen bei den ART-NutzerInnen heraus und machen Neuordnungen nötig. Knecht schlug vor, die historische Perspektive in der Forschung zu diesem Thema stärker zu berücksichtigen, so sei z.B. die Möglichkeit, Kontrolle (control / regularisation) über den Körper auszuüben eines der Hauptmotive der Moderne und auch erst in dieser entstanden.
Die interessanteste Sitzung der Konferenz – schließt man sich einem Kommentar aus dem Plenum an – widmete sich unter dem Titel „Techno-Cocooning: Cultural Histories of Mobile Capsules“ dem Herstellen von Räumen durch Klang. Das „technische Einkapseln“ in einen Klangraum in seiner historischen Dimension wurde dabei am Beispiel Automobil, aber auch am Walkman/MP3-Player dargestellt.
Der erste Vortrag von Christopher McDonald (Graduate Study in History, Princeton) untersuchte, wie das Autoradio in der Zeit zwischen 1929-59 zu einem „Companion“ wurde, das Langeweile oder Einsamkeit vertreiben half und eine Brücke zur Außenwelt für den Fahrer darstellte (Creating a Companion in the Car: Car Radio in America as a Technology Hybrid).
Die zentralen Vorträge des Panels referieren die Panel-Organisatoren Karin Bijsterveld und Gijs Mom. Karin Bijsterveld (Dept. Of Technology & Society Studies, Universiteit Maastricht) nahm das Thema Autoradio auf und erweiterte es zeitlich und thematisch. In ihrem Vortrag „Acoustic Cocooning: Ho the Car Became a Place to Relax (Europe, 1920s–1990s)“ stellte sie dar, wie „Ruhe” ein Standard der Autovermarktung wurde. Ruhe wird neuerdings nicht mehr in Verbindung mit Einsamkeit gebracht, die vom Autoradio übertönt werden muss, sondern mit Kontrolle darüber, wer bzw. welche Geräusche Zugang zum persönlichen Nahraum haben (oder nicht). Bijsterveld weist dies an Hand von Vermarktungsstrategien (Autowerbung, Philips-Autoradio) nach, die insbesondere seit den 1990er Jahren auf die „sonic qualities“ der Autos abhebt. Vor dem Hintergrund der „Erlebnisgesellschaft“ (Gerhard Schulze) treffen Strategien, das Auto als Klangerlebnis zu designen und zu vermarkten, offenbar Bedürfnisse der mobilen Nutzer.
Den Gedanken der Umweltkontrolle macht Gijs Mom (Dept. Technology, Innovation & Society, Technische Universiteit Eindhoven) zum zentralen Thema seines Vortrages „Cultures of Control: Sensorial Struggles in the Automobile, 1920s–1990s“. Er periodisiert an Hand einer Literaturanalyse, die sich auf das sinnliche Erleben bei der Autofahrt konzentriert (Proust (1907) z. B. beschrieb das Autofahren als „multisensorial trip“), drei Phasen des Cocooning: Bis zum 1. Weltkrieg wurde das Auto als geschlossener und schützender Körper gesehen (shell), in der Zwischenkriegsperiode als Raum auf Rädern (capsule), seit der Nachkriegszeit als „corridor“, der Privatheit in der Öffentlichkeit ermöglicht. Alle drei Rezeptionen des Automobils weisen die Gemeinsamkeit auf, sich von der Umwelt zu distanzieren.
Einen ganz anderen Blick auf mobiles Cocooning wirft Heike Weber (Institut für Philosophie, TU Berlin). Sie verbindet in ihrem Vortrag „Head Cocoons“ zwei Kontexte, Musikkultur und Mobilitätskultur. Wie die Zeitung dem bürgerlichen Reisenden zur Abschottung dien(t)e, schaffe nun der Kopfhörer eben diesen Privatraum, indem er akustische Abgrenzung ermöglicht.
In der Diskussion wurde herausgehoben, dass die historische Erforschung von technischen Klangwelten in der Technikgeschichte bisher ein Forschungsdesiderat gewesen sei und sich gerade zu einem breiteren Forschungsgebiet entwickelt, wie die breit rezipierten Studien Bijstervelds (Mechanical Sound, 2008) oder Susan J. Douglas’ (Listening In: radio and the American imagination, 1999) zeigen. So sind das Flugzeug, oder das Radio samt seiner Archivbestände „technische Leitfossile“, die unsere akustische Wahrnehmung und damit unsere alltäglichen Erfahrungen mitbestimmen. Da die Session-papers vor allem das Cocooning, also den Schutz vor unerwünschtem Klang betonten, tauchte in der Diskussion auch die Frage auf, ob Cocooning schlechterdings vielleicht unmöglich sei – gerade beim Autofahren träfen den Fahrer ständige Handlungsaufforderungen des Verkehrs, die einen Rückzug ausschlössen. Auch gebe es gegenläufige Tendenzen – Porsche etwa arbeitet an immer lauteren Motorengeräuschen, andere PKW-Besitzer bauen sich „boom boxen“ ein. Gerade diese Beispiele, so Bijsterveld, wiesen jedoch darauf hin, dass Kontrolle über den Klang erlangt werden wolle – eines der Merkmale des Cocoonings. Ein weiterer Kritikpunkt waren die Daten, da schwerpunktmäßig auf der Basis von Autowerbung analysiert wurde. Es ist hier zu wünschen, dass neben den klassischen klangökologischen Theoremen verstärkt auch ethnografisch-kulturanthropologische Forschungen über die Sinne und damit die Alltagserfahrungen breiterer Gruppen in der Technikgeschichte Berücksichtigung finden.
Leider sah das Tagungsprogramm keine Abschlussdiskussion vor, sodass am letzten Vormittag die Sessions in gehabter Art und Weise weitergeführt wurden. Obwohl sie parallel mit weiteren Sessions stattfand, konnte diese Lücke teilweise durch die Session 66, „Science, Technology, and the Social Functions of Our Disciplinary Boundaries OR Is SHOT Necessary?” gefüllt werden. (Angelehnt war der Titel an das Büchlein „Is Sex necessary“? (Thurber/ White 1929), das auf humorvolle Weise (OK, 20er Jahre Humor ...) die psychologischen Verstrickungen des (weißen männlichen) Mittelklasse-Amerikas bei/m Partner-Suche/ -Wahl und -Sein behandelt und als Klassiker dieser Art Ratgeberliteratur gilt.) Die „Round-Table-Conversation“ konstatierte eher zu wenige Verstrickungen - zwischen den Histories of Technology und Science. Organisiert hatte das Panel Amy Slaton (Dept. of History and Politics, Drexel University), es begann mit einem Impulsreferat von Maria Rentetzi (Dept. of Humanities, Social Sciences and Law, National Technical University of Athens), die das Labor als Beispiel des Zusammenwirkens von „Wissenschaft und Technik“ in den Mittelpunkt ihres Referats stellte. Ihre Bildanalyse der historischen Entwicklung von Apparaten der Radiophysik an Hand historischer Fotos kennzeichnete das Labor als eines der Hauptbeschäftigungsfelder der History of Science - und als Verbindung zwischen Wissenschaft und Technik, da es Menschen und Apparate kontextualiesiere. Da ihre Forschungen dabei einen Schwerpunkt auf Gender (Wissenschaftlerinnen im Institut für Radiumforschung Wien, erste Hälfte des 20. Jh.) legen, kam das Gespräch schnell auf die Themenkomplexe Gender, Race, Class zu sprechen. Wie diese sozialwissenschaftlichen Konzepte in die History of Technology einbezogen werden könnten, wurde als eine der drängenden Fragen ausgemacht. Ziel der historischen Technikforschung dürfe es nicht nur sein, Fallstudien anzufertigen, sondern auch auf sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zu beziehen. So werden Studien in soziologisch-philosophischer Ausrichtung wie die SCOT oder STS im Fach breit rezipiert. Eine weitere Herausforderung für die History of Technology ist dabei, wie die dritte Podiumsdiskutantin Jessica Wang (Dept. of History, University of British Columbia) betonte, das Überbrücken des „Science-Technology Divide“. So sei es auch die Aufgabe der History of Technology, neben Innovationen und Innovationsprozessen verstärkt auch die Produktion und Zirkulation von Wissen zu untersuchen. Auch im Hinblick auf den wissenschaftlichen Nachwuchs könnte die größere Einbeziehung von z. B. Genderfragen oder anderer Themen von gesellschaftlicher Relevanz das Interesse am Fach mehren.
Viele Beiträge haben gezeigt, dass diese interdisziplinäre Herausforderung angenommen wird und neue Konzepte, wie die „New-Approaches“ oder „Cocooning“-Sessions zeigten, im Fach erprobt werden. Ähnlich äußerte sich auch Steve Usselman (School of History, Technology, and Society, Georgia Institute of Technology), zum Tagungszeitpunkt Präsident der Society, in seiner „Presidential Adress“. Er encouragierte die Forscher_innen zu „dichten Beschreibungen“ und versicherte, dass SHOT weiterhin „the best country“ in der Wissenschaftslandschaft sei, um Technik unter verschiedensten Forschungsinteressen zu untersuchen.
Das nächste Annual Meeting findet vom 15.–19. Oktober 2009 in Pittsburgh, Pennsylvania, statt. Dem portugiesischen Planungsteam unter der Leitung von Maria Paula Diogo (Centro de História das Ciências, Universidade de Lisboa) ist für die tolle Organisation der Tagung zu danken. Die Atmosphäre des Arts Hotel auf dem Expogelände Lissabons, das auf die Tagung abgestimmte Begleitprogramm und die Stadt selbst regten sehr zu vielerlei Diskussionen und Gedankenaustausch an.
jmueske - 23. Mär, 12:40
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