Allein durch sein Vorhandensein, löst das Internet keinen Demokratisierungsprozess aus

Das HANDELSBLATT (22. September 2005) holt den "Digital Idealism" auf den Boden der Tatsachen herunter:

Zwar wird das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung im Internet theoretisch realisiert. Jeder kann sich in Blogs und Chaträumen allen anderen Interessierten mitteilen. Doch allein durch sein Vorhandensein, das zeigt sich derzeit in China, löst das World Wide Web keine Demokratisierungsprozesse aus. Es ist ein neutrales Medium, das demokratische Werte und Normen zwar transportieren, aber bei entsprechendem Handeln der Akteure auch in genau die andere Richtung wirken kann.

Ferne Ideale im globalen Dorf
Von Simone Fuchs

Das Internet, so die große Hoffnung der späten neunziger Jahre, werde schon bald die Politik revolutionieren. Mit Hilfe des neuen Kommunikationsmittels könnte jeder Bürger, jede kleine Gruppe immer neue Möglichkeiten finden, um die Arbeit der Eliten zu beaufsichtigen. Verfilzte Oligarchien würden es schwerer haben, Diktatorencliquen gerieten ins Wanken. Ein paar Jahre später erweisen sich die Träume – zumindest teilweise – als Illusion.

So hat das Internet-Portal Yahoo den chinesischen Behörden Informationen geliefert, die zur Verhaftung eines missliebigen Systemkritikers führten. Der Journalist wurde im April zu zehn Jahren Haft verurteilt, weil er geheime Informationen via E-Mail ins Ausland weitergeleitet hatte. Die Mails liefen über die Server von Yahoo, der Staat las mit. Und das US-Unternehmen teilte den Behörden mit, wer sich unter der verdächtigen IP-Adresse verbarg.

(...)

Werfen westliche Medien ihnen diesen Verrat an demokratischen Idealen vor, verteidigen sich die US-Unternehmen damit, dass sie sich in lokalen Märkten schließlich an dortige Gesetze und Gebräuche anpassen müssten. Das stimmt im Prinzip. Doch nicht nur politische Essayisten hatten eine Zeit lang die Hoffnung, dass das Internet zu einer besseren Welt führen würde. Auch die Gründer vieler Silicon-Valley-Firmen, ihre ersten Mitarbeiter und Kunden waren zunächst mehr am Ideal der weltweiten Verständigung als an konkreten Geschäftserfolgen interessiert.

Mit dem wachsenden Erfolg der Firmen in der westlichen Welt und unter dem Druck steigender Börsenkurse und hoher Investoren-Erwartungen gerieten diese Ideale jedoch schon bald ins Wanken. Die Suchmaschine Google etwa schreibt sich zwar noch heute auf die Fahnen, vor allem Ordnung in die Informationsströme der Welt bringen zu wollen, expandiert aber schon längst mit E-Mail- und Telefondiensten auch ins Portalgeschäft. (...)

Stärker als bisher entfernen sie sich dabei von den Idealen ihrer Gründerzeiten – und gefährden dabei möglicherweise auch ihre Geschäfte in der westlichen Welt. Denn dort haben sie bisher von der Wirkung ihrer positiv besetzten Marken gezehrt.

Können sie die Finger vom chinesischen Markt nicht lassen, werden auch die großen Internet-Unternehmen wie jedes andere Unternehmen verstärkt in Image-Kampagnen investieren und Geld für gesellschaftliche Projekte bereitstellen müssen. Im Net ist die Normalität eingekehrt. Und die Welt müssen jetzt wohl andere verändern. Die Silicon-Valley-Unternehmen können es sich nicht leisten, die Märkte in Russland, Indien und China zu ignorieren.


Aha, also doch: "Das Sein bestimmt das Bewußtsein" und das im Handelsblatt?

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