Neuerscheinung von Bernd Jürgen Warneken: Die Ethnographie popularer Kulturen.

BJWSucht man bei amazon nach Büchern von "Bernd Jürgen Warneken" wird man unter dem Stichwort "Trivialkultur" fündig. Angeboten wird unter dieser Kategorisierung ein neuer Einführungsband für die Nachfolgedisziplinen der Volkskunde (Europäische Ethnologie/Empirische Kulturwissenschaft/Kulturanthropologie/Populäre Kulturen). Es erscheint mir ziemlich bezeichnend, in welcher Weise diese Verortung dem Inhalt des Buches widerspricht. Bernd Jürgen Warneken greift darin jene zentrale Perspektive der Nachfolgedisziplinen der Volkskunde auf, der es immer auch darum ging, solche pejorativen Zuschreibungen zu konterkarieren.

Immerhin - angesichts dieser "Zuschreibung" besteht die Ironie vielleicht gerade darin, dass LeserInnen, die entsprechenden Distinktionsbedarf aufweisen, ein Stück Aufklärung erhalten. Schließlich liefert Bernd Jürgen Warneken eine Überblicksdarstellung ab, die die mit der Systematisierung "Trivialkultur" verbundenen Distinktionsbemühungen unterläuft.

Warneken, Bernd Jürgen: Die Ethnographie popularer Kulturen. Eine Einführung. Wien u.a. 2006, Böhlau (UTB), 409 S. ISBN: 3-8252-2853-3, 24.90 Euro im Buchhandel

Wikipedia zu Bernd Jürgen Warneken

Der Klappentext des Böhlau-Verlags

"Die Kultur unterer Sozial- und Bildungsschichten ist ein zentrales Thema der Europäischen Ethnologie, der Empirischen Kulturwissenschaft und der Volkskunde. Der vorliegende Band ist der erste ausführliche Überblick über diese „Ethnographie popularer Kulturen“. Er verbindet die Behandlung der historischen und der Gegenwartsforschung mit der Diskussion aktueller Aufgaben. Im Unterschied zu Einführungen, die bei Theorien, Gegenstandsbereichen oder Methoden ansetzen, geht das Buch an drei klassischen Leitmotiven der ethnographischen Unterschichten-Darstellung entlang: an den Zuschreibungen Primitivität, Kreativität und Widerständigkeit."

In diesem Band werden drei Leitmotive des überlieferten (mehr oder weniger) analytischen Blicks auf "populare Kulturen" (by the way: in der Fußnote 2 der Einleitung findet sich eine prägnante Unterscheidung der Begriff "popular" und "populär") in den Mittelpunkt gestellt:

1. Primitivität,
2. Kreativität und
3. Widerständigkeit.

Wie der Klappentext verspricht, werden sie zwar als "Zuschreibungen" und ihre Verwendung im Kontext der Geschichte des Faches zugleich selbstreflexiv und selbstkritisch verhandelt, aber (zumindest mit Blick auf Kreativität und Widerständigkeit) auch nicht denunziert.

Einige Überschriften verweisen auf die thematischen Zugänge des Buches:

Konversation und Innovation in der bäuerlichen Kultur, Die Modernität der Arbeitkultur, MigrantInnen als InnovatorInnen, Populare Ästhetik, Widersetzlichkeit der ländlichen Unterschichten, Arbeiterkultur und Arbeiterwiderstand, Popularer Eigensinn in der modernen Arbeitswelt, Wandlungen des Jugendprotests, Unterhaltung als Gegenkultur.


Unter der Überschrift "Regelverletzungen im Büro" (S. 73 ff.) greift der Verfasser eine aktuelle Diskussion zur privaten Nutzung von Computern am Arbeitsplatz aus dem Bereich der aktuellen "Arbeitskulturenforschung" auf. Es ließen sich noch eine ganze Reihe - vor allem an Systematisierung interessierter - Analysen aufführen.

Ungeachtet der Thematisierung "Neuer Medien" am Arbeitsplatz vermisse ich dieses Forschungsfeld dennoch. Auch wenn sich der Vorwurf eines fehlenden aktuellen Bezuges gerade nicht erheben lässt, gibt es inzwischen doch eine Reihe von Untersuchungen aus dem Fach, die für eine Einführung durchaus ausgewertet hätten werden können. Denn, und das lässt sich mit Fug und Recht und nicht nur 'pro domo' anführen - sondern muss mit Blick auf die Entwicklung des soziokulturellen Wandels insgesamt angemerkt werden: Der Prozess der Informatisierung der populären wie popularen Kultur) kann nicht mehr nur ein Steckenpferd von wenigen 'Nerds' im Fach sein. Es erscheint vielmehr sinnvoll und notwendig die Perspektive unserer Fächer - etwa hinsichtlich der Nutzungspraxen von Computern, Handy oder Internetnutzung gegenüber verkürzten Zugängen anderer (sozialwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher) Disziplinen in der gesellschaftlichen Debatte immer wieder deutlich zu machen.

Aber, und das erscheint mir dann doch entscheidender: Diese Einführung zielt mehr noch auf eine Perspektive (und liefert hierfür ein analytisches Handwerkzeug), die die Untersuchung des popularen Gebrauchs (eben auch von Neuen Medien mit Blick auf Kreativität und Widerstand - aber auch gegenüber verkürzten oder pejorativen Diskursen über Primitivität - wie sie gerade auch in den gegenwärtigen Debatten um Computerspiele aufscheinen) vorantreiben hilft. In diesem Sinne liefert seine Betrachtungsweise des Themas "Selbsrepräsentationen I: Autobiographisches Schreiben" durchaus auch Anregungen für eine historische Herangehensweise bei der Untersuchung von Weblogs.

Und schließlich ist gerade dies der Zweck von "Einführungen in ...", der in diesem Buch vorzüglich erfüllt wird. Insofern können wir einen weiteren Eintrag in die Literaturlisten der Grundzüge-- und Einführungsseminare zu den verschiedensten Themenfelder machen ...
Ladislaus - 14. Dez, 12:13

Populare Kultur? Also mein Duden kennt das nicht. Übersetzt in verständliches Deutsch heißt der Titel dann "Volkskunde der Volkskulturen". Ein Fremdwort und ein bescheuerter Anglizismus machen noch kein neues Fach.

contributor - 17. Dez, 12:38

Mit dem Duden gelingen Übersetzungen offenbar

in den seltensten Fällen. Aber müssen denn alle auf Focus-"Wissenschafts"journalismus-Niveaus zurückfallen? Eigentlich hat dieses Blog qualifiziertere Kommentatoren verdient.
Ladislaus - 18. Dez, 10:03

Mag sein. Mich stört es halt immer, wenn schon im Titel eines Fachbuchs klar gemacht wird, dass es offensichtlich für einen extrem kleinen Kreis von Kollegen geschrieben wird, die dann schon wissen werden, was gemeint ist. Die immer obskureren Begriffsbildungen der Volkskunde vor allem für das eigene Fach helfen der öffentlichen Wahrnehmung m. E. überhaupt nicht, im Gegenteil.
kschoenberger - 19. Dez, 09:15

Verstehe ich nicht:

Das Buch begründet doch kein neues Fach, sondern es ist eine Einführung in ein zentrales Forschungsfeld unseres Faches. Und mich würde mal interessieren, ob Sie ernsthaft auch einen Physiker oder einen Mediziner ob seiner Fachsprache kritisieren würden?

Auch die Empirische Kulturwissenschaft ist trotz ihres Gegenstandes zunächst einmal eine Wissenschaft mit ihren Konventionen (die man kritisieren mag, aber gerade nicht die Versuche, den Gegenstand von Untersuchungen genauer zu fassen). Die meisten Wissenschaften zeichnen sich durch eine Fachsprache aus. Dieselbe lernen Studierende in der Universität in den Proseminaren. Wer glaubt die Anstrengung des Begriffs umgehen zu können, oder negiert, dass wir es hier mitunter mit sehr komplexen Sachverhalten zu tun haben, der tut der Außenwahrnehmung auch keinen Gefallen. Auch Volkskunde können nicht alle von Geburt an.

Im übrigen sind die Nachfolgedisziplinen der Volkskunde inzwischen Wissenschaften des soziokulturellen Wandels. Und bloß weil etwas nicht im DUDEN steht, heißt das nicht, dass nicht auch Begriffe neu geprägt werden können. Der DUDEN wird nicht umsonst regelmäßig aktualisiert. Ein solch ahistorisches Denken steht dem wissenschaftlichen Selbstverständnis einer historisch informierten Alltagswissenschaft diametral gegenüber.

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