Vom Zitieren und Zitiertwerden - Eine kleine Detektiv-Arbeit
Mitunter wundert man sich schon. Da werden Dinge zitiert bzw. einem in den Mund gelegt, die einen erstaunt aufsehen und denken lassen. Aha, das hast du also geschrieben. Jüngst bin ich wieder auf so einen Fall gestoßen.
Nina Kahnwald und Thomas Köhler schrieben in ihrem Beitrag über "Microlearning in Virtual Communities of Practice. An explorative analysis of changing information behaviour. Changing Patterns of Learning: Schools, Universities, Vocational Training. In: Hug, theo, Lindner, Martin, Bruck, Peter A. (Hg.): Micromedia & E-Learning 2.0: Gaining the Big Picture. Proceedings of Microlearning Conference 2006, S. 156-172. Online verfügbar unter URL: http://www.microlearning.org/MicroConf_2006/Microlearning_06_final.pdf
im Kontext von "Perspectives on Lurking" (S. 164f.)
"In many cases, lurkers are viewed rather depreciatory. In a discussion about the subject in the virtual community “The Well” which was described by Rheingold (1993) one poster claimed that lurkers should pay more for their internet-connection than active members. The appraisal expressed here, that lurkers are supplying themselves at the expenses of the community with information is expressed not only by active community members, but also regarded as reason for lurking by numerous researchers. Schönberger (1998) for instance holds the opinion, that lurkers are merely wasting bandwidth. Furthermore not only Kollock and Smith (1996), but also Wellman and Gulia (1999) as well as Morris and Ogan (1996) defame lurkers as free-riders."
"Aha", denkt sich der Zitierte und versucht sich zu erinnern. 1998 also vor gut neun Jahren, hast Du das also geschrieben. Keine Missetat bleibt ungelesen. Ich blättere weiter zum Literaturverzeichnis:
"Schönberger, K. (1998), The Making of the Internet. Befunde zur Wirkung und Bedeutung medialer Internetdiskurse. In: Rössler, Patrick (Hg.): Online-Kommunikation. Opladen, S. 65-84."
Stirnrunzeln. Hoppla, so weit reicht mein Gedächtnis noch. Da ging es doch um was ganz anderes. Aber zur Sicherheit suche ich auf der Festplatte nach der Datei. Mit der Suchfunktion durchkämme ich den Text nach "lurk", "lurking" und "lurker". Kommt darin aber nicht vor. Wusste ich es doch. In einem wissenschaftlichen Kontext hatte ich mich nie über das Thema ausgelassen. Aber wie kamen die beiden AutorInnen auf die Idee, mich und dann auch noch diesen Aufsatz zu zitieren? Dafür muss es doch Gründe geben. Ich versuche den Sachverhalt zu rekonstruieren. Es muss einen ziemlichen Umweg geben. Dann erinnere ich mich, dass mein Kollege, Mitbegründer und Mitherausgeber von kommunikation@gesellschaft, Christian Stegbauer, mir so um das Jahr 2000 herum, erzählte, dass er mich in Sachen Lurking im Kontext seiner Arbeit über Mailinglisten zitiert habe, allerdings nicht zustimmend. Ich musste damals ziemlich dämlich aus der Wäsche geschaut haben, beschloss aber das Thema nicht zu vertiefen, ging es doch seiner Zeit um die Begründung des Projekts und da erschien es mir nicht opportun, nachzuhaken. Irgendwann schickte er mir wenig später auch den Text als Draft. Doch ich glaube, ich habe ihn mir damals nie richtig angeschaut. Erst später, als ich im Rahmen des Gutachtens für das TAB beim Deutschen Bundestag die Literatur für Mailingslisten systematisch auswertete verstand ich was er damals meinte:
"Es finden sich unterschiedliche Meinungen über Lurker: Zum einen werden Lurker als Trittbrettfahrer verunglimpft. Diese eigneten sich die Leistungen, die Informationen, die von den aktiven Teilnehmern erarbeitet werden lediglich an, ohne selbst einen Beitrag dazu zu leisten (z.B. Kollock&Smith 1994). Andere Überlegungen gehen von deren Nutzlosigkeit aus. Sie verbrauchten lediglich Bandbreite (Schönberger 1998)."
Stegbauer, C. (2000), Die Rolle der Lurker in Mailinglisten. in ‚P.Ohly, G. Rahmstorf, & A. Sigel (Eds.), Globalisierung und Wissensorganisation: Neue Aspekte für Wissen, Wissenschaft und Informationssysteme (pp. 119-129). Draft online verfügbar als Word-Dokument
Ich fand zwar nicht, dass das meine Position zu irgend einem Zeitpunkt gewesen sei, aber reagieren wollte ich auch nicht. Dann schaute ich nach, welchen Text Christian zitierte:
Schönberger, Klaus, 1998, An Alle: Von „Lurkern“, „Flames“ und Datenmüll. Begegnungen im Internet. (URL: http://max.lui.uni-tuebingen.de/fp/glossen.htm).
Nun verstand ich, was hier gemeint war. Nämlich ein Text, den ich als Glosse 1997 für die Stuttgarter Monatszeitschrift "Kultur" der Kulturgemeinschaft des DGB verfasst hatte. Der Text war damals online auf meiner alten Projekthomepage abrufbar (die zwar teilweise noch funktioniert, aber der Text komischerweise nicht) und wird inzwischen via Berliner Blätter für Psychoanalyse und Psychotherapie noch vorgehalten: [Schönberger, Klaus: Von "Lurkern", "Flames" und Datenmüll. Begegnungen im Internet. In Kultur, Nr.4/1997. Herausgegeber: Kulturgemeinschaft des DGB Baden-Württemberg, Stuttgart.]
Nun wollte ich aber wissen, was ich vor zehn Jahren über das Thema Lurker tatsächlich geschrieben hatte:
"Wer sich darüber hinaus in nach inhaltlichen Themen ausgerichteten "Mailinglisten" (von Sozialgeschichte bis Raumschiff Enterprise) einschreibt, findet dort Informationen von sehr unterschiedlicher Qualität. Wissenschaftlich ausgerichtete Mailing-Listen funktionieren inzwischen ähnlich wie Zeitschriften. Sie sind "moderierte" Listen und eine Redaktion entscheidet darüber, ob eine Nachricht an alle eingeschriebenen Teilnehmer weiterversandt wird.
Unmoderierte Listen hingegen funktionieren wie ein Vereinslokal oder eine Parteiversammlung. Alle bei einer zentralen Adresse eintreffenden Mails gehen von einem Programm weitergeleitet, ungefiltert und automatisch zurück in die weite Welt des Cyberspace. Es sind sehr unterschiedliche Nutzercharaktere zugegen und manchmal stellt sich schon die Frage, womit man die verdient hat. Die unproblematischsten sind vielleicht die "Lurker", die nie in Erscheinung treten, sondern nur spicken und insgeheim mitlesen, allerdings manchmal unverhofft auf den Plan treten. Keiner weiß, daß sie auch da sind. Sie tragen allenfalls zur Verstopfung der Transportwege bei. Manche "Lurker" sind plötzlich in dem Moment da, wenn beispielsweise ihre Person oder ihr Thema zur Debatte steht. Wie das dann so ist, gibt es schließlich einige Verkürzungen und verschobene Akzente. Nun kommt es darauf an: Geben sich die Lurker zu erkennen oder lassen sie das Ganze einfach weiterlaufen und bleiben in ihrer Deckung? Man kann sich nie sicher sein."
Wirklich belastbar im Sinne der Behauptung von Kahnwald/Köhler erscheint mir die Passage aus solch einer Glosse allerdings nicht.
Das Problem von Christian Stegbauer war damals ein generelles. Es gab kaum deutschsprachige wissenschaftliche Untersuchungen zu unseren Internetthemen. Da wurde auch mal auf andere Textsorten als Reibungsfläche zurückgegriffen. Kahnwald/Köhler aber, haben einfach bei Stegbauer abgeschrieben und die Orginalstelle - obwohl online abrufbar - nicht nachgeprüft. Bleibt noch eine Frage offen: Wieso zitieren sie auch noch den falschen Aufsatz?
Darüber hinaus frage ich mich allerdings auch noch: Wieso ist im Zeitalter von Breitband und DSL ein Bandbreite-Argument im Jahr 2006 überhaupt noch erwähnenswert?
Nina Kahnwald und Thomas Köhler schrieben in ihrem Beitrag über "Microlearning in Virtual Communities of Practice. An explorative analysis of changing information behaviour. Changing Patterns of Learning: Schools, Universities, Vocational Training. In: Hug, theo, Lindner, Martin, Bruck, Peter A. (Hg.): Micromedia & E-Learning 2.0: Gaining the Big Picture. Proceedings of Microlearning Conference 2006, S. 156-172. Online verfügbar unter URL: http://www.microlearning.org/MicroConf_2006/Microlearning_06_final.pdf
im Kontext von "Perspectives on Lurking" (S. 164f.)
"In many cases, lurkers are viewed rather depreciatory. In a discussion about the subject in the virtual community “The Well” which was described by Rheingold (1993) one poster claimed that lurkers should pay more for their internet-connection than active members. The appraisal expressed here, that lurkers are supplying themselves at the expenses of the community with information is expressed not only by active community members, but also regarded as reason for lurking by numerous researchers. Schönberger (1998) for instance holds the opinion, that lurkers are merely wasting bandwidth. Furthermore not only Kollock and Smith (1996), but also Wellman and Gulia (1999) as well as Morris and Ogan (1996) defame lurkers as free-riders."
"Aha", denkt sich der Zitierte und versucht sich zu erinnern. 1998 also vor gut neun Jahren, hast Du das also geschrieben. Keine Missetat bleibt ungelesen. Ich blättere weiter zum Literaturverzeichnis:
"Schönberger, K. (1998), The Making of the Internet. Befunde zur Wirkung und Bedeutung medialer Internetdiskurse. In: Rössler, Patrick (Hg.): Online-Kommunikation. Opladen, S. 65-84."
Stirnrunzeln. Hoppla, so weit reicht mein Gedächtnis noch. Da ging es doch um was ganz anderes. Aber zur Sicherheit suche ich auf der Festplatte nach der Datei. Mit der Suchfunktion durchkämme ich den Text nach "lurk", "lurking" und "lurker". Kommt darin aber nicht vor. Wusste ich es doch. In einem wissenschaftlichen Kontext hatte ich mich nie über das Thema ausgelassen. Aber wie kamen die beiden AutorInnen auf die Idee, mich und dann auch noch diesen Aufsatz zu zitieren? Dafür muss es doch Gründe geben. Ich versuche den Sachverhalt zu rekonstruieren. Es muss einen ziemlichen Umweg geben. Dann erinnere ich mich, dass mein Kollege, Mitbegründer und Mitherausgeber von kommunikation@gesellschaft, Christian Stegbauer, mir so um das Jahr 2000 herum, erzählte, dass er mich in Sachen Lurking im Kontext seiner Arbeit über Mailinglisten zitiert habe, allerdings nicht zustimmend. Ich musste damals ziemlich dämlich aus der Wäsche geschaut haben, beschloss aber das Thema nicht zu vertiefen, ging es doch seiner Zeit um die Begründung des Projekts und da erschien es mir nicht opportun, nachzuhaken. Irgendwann schickte er mir wenig später auch den Text als Draft. Doch ich glaube, ich habe ihn mir damals nie richtig angeschaut. Erst später, als ich im Rahmen des Gutachtens für das TAB beim Deutschen Bundestag die Literatur für Mailingslisten systematisch auswertete verstand ich was er damals meinte:
"Es finden sich unterschiedliche Meinungen über Lurker: Zum einen werden Lurker als Trittbrettfahrer verunglimpft. Diese eigneten sich die Leistungen, die Informationen, die von den aktiven Teilnehmern erarbeitet werden lediglich an, ohne selbst einen Beitrag dazu zu leisten (z.B. Kollock&Smith 1994). Andere Überlegungen gehen von deren Nutzlosigkeit aus. Sie verbrauchten lediglich Bandbreite (Schönberger 1998)."
Stegbauer, C. (2000), Die Rolle der Lurker in Mailinglisten. in ‚P.Ohly, G. Rahmstorf, & A. Sigel (Eds.), Globalisierung und Wissensorganisation: Neue Aspekte für Wissen, Wissenschaft und Informationssysteme (pp. 119-129). Draft online verfügbar als Word-Dokument
Ich fand zwar nicht, dass das meine Position zu irgend einem Zeitpunkt gewesen sei, aber reagieren wollte ich auch nicht. Dann schaute ich nach, welchen Text Christian zitierte:
Schönberger, Klaus, 1998, An Alle: Von „Lurkern“, „Flames“ und Datenmüll. Begegnungen im Internet. (URL: http://max.lui.uni-tuebingen.de/fp/glossen.htm).
Nun verstand ich, was hier gemeint war. Nämlich ein Text, den ich als Glosse 1997 für die Stuttgarter Monatszeitschrift "Kultur" der Kulturgemeinschaft des DGB verfasst hatte. Der Text war damals online auf meiner alten Projekthomepage abrufbar (die zwar teilweise noch funktioniert, aber der Text komischerweise nicht) und wird inzwischen via Berliner Blätter für Psychoanalyse und Psychotherapie noch vorgehalten: [Schönberger, Klaus: Von "Lurkern", "Flames" und Datenmüll. Begegnungen im Internet. In Kultur, Nr.4/1997. Herausgegeber: Kulturgemeinschaft des DGB Baden-Württemberg, Stuttgart.]
Nun wollte ich aber wissen, was ich vor zehn Jahren über das Thema Lurker tatsächlich geschrieben hatte:
"Wer sich darüber hinaus in nach inhaltlichen Themen ausgerichteten "Mailinglisten" (von Sozialgeschichte bis Raumschiff Enterprise) einschreibt, findet dort Informationen von sehr unterschiedlicher Qualität. Wissenschaftlich ausgerichtete Mailing-Listen funktionieren inzwischen ähnlich wie Zeitschriften. Sie sind "moderierte" Listen und eine Redaktion entscheidet darüber, ob eine Nachricht an alle eingeschriebenen Teilnehmer weiterversandt wird.
Unmoderierte Listen hingegen funktionieren wie ein Vereinslokal oder eine Parteiversammlung. Alle bei einer zentralen Adresse eintreffenden Mails gehen von einem Programm weitergeleitet, ungefiltert und automatisch zurück in die weite Welt des Cyberspace. Es sind sehr unterschiedliche Nutzercharaktere zugegen und manchmal stellt sich schon die Frage, womit man die verdient hat. Die unproblematischsten sind vielleicht die "Lurker", die nie in Erscheinung treten, sondern nur spicken und insgeheim mitlesen, allerdings manchmal unverhofft auf den Plan treten. Keiner weiß, daß sie auch da sind. Sie tragen allenfalls zur Verstopfung der Transportwege bei. Manche "Lurker" sind plötzlich in dem Moment da, wenn beispielsweise ihre Person oder ihr Thema zur Debatte steht. Wie das dann so ist, gibt es schließlich einige Verkürzungen und verschobene Akzente. Nun kommt es darauf an: Geben sich die Lurker zu erkennen oder lassen sie das Ganze einfach weiterlaufen und bleiben in ihrer Deckung? Man kann sich nie sicher sein."
Wirklich belastbar im Sinne der Behauptung von Kahnwald/Köhler erscheint mir die Passage aus solch einer Glosse allerdings nicht.
Das Problem von Christian Stegbauer war damals ein generelles. Es gab kaum deutschsprachige wissenschaftliche Untersuchungen zu unseren Internetthemen. Da wurde auch mal auf andere Textsorten als Reibungsfläche zurückgegriffen. Kahnwald/Köhler aber, haben einfach bei Stegbauer abgeschrieben und die Orginalstelle - obwohl online abrufbar - nicht nachgeprüft. Bleibt noch eine Frage offen: Wieso zitieren sie auch noch den falschen Aufsatz?
Darüber hinaus frage ich mich allerdings auch noch: Wieso ist im Zeitalter von Breitband und DSL ein Bandbreite-Argument im Jahr 2006 überhaupt noch erwähnenswert?
kschoenberger - 26. Jan, 09:56
Die Bandbreite ist insofern noch erwähnenswert, da sie nicht nur die Internetverbindung betrifft, sondern auch das Datentransfervolumen eines Webspaces, auch als Traffic oder eben Bandwidth bekannt. Davon hat man meistens eine bestimmte Menge inklusive, und sobald man diese Menge überschreitet, zahlt der Webspacemieter drauf.
Möglichweise spielt darauf der erste Aufsatz an, denn Lurker verursachen zwar Traffic, der eventuell sogar etwas kostet, aber steuern nichts bei wovon andere ebenfalls profitieren könnten. Insofern wären Lurker tatsächlich Bandbreitenverschwender.
Nochmals Bandbreite