Zur Debatte der Volkskunde mit den Kulturwissenschaften

hat sich Markus Tauschek (Göttingen), der heute Abend im Rahmen der Hamburger hgv-Vortrags-Reihe refereriert, in einer Rezension in der Zeitschrift für Volkskunde (103/2007/2, 117-119) geäußert.

In seiner Besprechung von "Nünning, Angar (Hg.): Grundbegriffe der Kulturtheorie und Kulturwissenschaften. Stuttgart u.a. 2005" kritisiert er das eingeschränkte Kulturwissenschafts-Verständnis von Ansgar Nünning, dessen Titel eine hohe Erwartung erwecke, aus der Sicht der Nachfolgediszplinen der Volkskunde.

Dabei moniert er die Reduktion der Kulturwissenschaften auf eine literaturwissenschaftliche Perspektive. Mit Verweis auf Begriffe wie Liminalität, Kitsch, Performance, narrativistische Ansätze kritisiert er das Unerwähnt-Lassen all jener Arbeiten, die diese Begriffe oder Ansätze tatsächlich "kulturwissenschaftlich" untersuchen:

"Aus der disziplinären Perspektive der Kulturanthropologie stell sich rasch die Frage, woher in den Artikeln dieses mitunter eingeschränkte Verständnis von Kulturwissenschaft rührt. Ein Blick in den vom Herausgeber selbst geschriebenen Artikel zum Stichwort 'Kulturwissenschaft' gibt darüber Aufschluss. In einer Annäherung an den sicherlich teilweise problematischen Sammelbegriff 'Kulturwissenschaft' schreibt Nünning: 'Der begrifflichen Klarheit wenig förderlich ist es, auch die Volkskunde oder Europäische Ethnologie als Kulturwissenschaft zu bezeichnen' (125). Warum hier die Disziplin Volkskunde, die ja an einigen Universitäten durchaus auch den Begriff 'Kultur' in ihrer Fachbeschreibung trägt (Empirische Kulturwissenschaft, Kulturanthropologie etc.) vom Herausgeber offensichtlich nicht als Kulturwissenschaft verstanden wird, bleibt unklar, hat aber große Auswirkungen auf die Konzeption des Bandes."

Nun zu dieser Frage könnte einem schon einiges einfallen, geht es doch bei dem 'Hijacken' des Begriffes "Kulturwissenschaft" doch vor allem um eine Modernisierung der klassischen Geisteswissenschaften bei Beibehaltung der meisten Reduktionismen eines hochkulturellen Begriffes von Kultur
(Vgl. hierzu einige frühere Einträge in diesem Blog (etwa anlässlich der Wiener IfK-Diskussion zur Lage der Kulturwissenschaften oder zu Ute Daniels Ausführungen).

M. Tauschek analysiert immerhin, wie diese Bemächtigungsstrategie funktioniert:

"So werden zwar die Begriffe im Hinblick im Hinblick auf ihre Bedeutung für Textproduktion, -rezeption, Literaturkritik etc. diskutiert, die lebensweltlichen und alltagskulturellen Bezüge fehlen jedoch meist.. Dabei dürfte es doch klar sein, dass Kultur als Handlung, als Denkform und Symbolsystem nicht nur den wissenschaftlichen Blick auf literarische Texte erfordert. Es wäre also durchaus mehr als förderlich, die Volkskunde/Europäische Ethnologie, die mit nahezu allen Begriffen des Einführungsbandes auch operiert, als eine Kulturwissenschaft zu bezeichnen."

Schließlich verweist er darauf, dass auch Elisabeth Timm in einer Rezension eines Sammelbandes der Österreichischen Zeitschrift für Geschichtswissenschaft mit dem Schwerpunkt "Europäische Ethnologie" in: Volkskunde in Niedersachsen 2/2006) bereits angemerkt hat, wie die "ältere Kulturwissenschaft" Volkskunde ignoriert und an den Rand gedrängt wurde. Als weiteres Beispiel hierfür nennt er auch Aleida Assmanns Sammelband "Positionen der Kulturanthropologie".

Abschließend betont der Rezensent:

"Insgesamt bleibt am Ende der Lektüre [von Nünning] ein fahler Beigeschmack. Die viel strapazierte Rede einer umfassenden Interdisziplinarität scheint der Band durch das implizite Ziehen neuer Grenzlinien stellenweise zu unterwandern. 'Schade', so möchte man am Ende der Durchsicht fast ein wenig resigniert schreiben. Doch dieser Band fordert auch heraus, die eigene Fachperspektive stark zu machen und die eigenen disziplinären Trümpfe vielleicht besser auszuspielen."

Schon richtig. Aber offenbar ist hierzu nur wenig Bereitschaft vorhanden.

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