authentizität@gesellschaft (4): "Der Tucholsky-Schwindel"
heisst es mit gebührender Verspätung in der Wiener Tageszeitung "Die Presse" (31.10.2008). Sie berichtet erzürnt über jene FinanzmarktkritikerInnen, die einem Lesefehler aufgesessen seien und die Zeilen eines eher rechten Globalisierungskritiker den Rang eines Tucholsky-Gedichtes zugeschrieben hätten.
Der Suedblog (23.10.2008), das Weblog zu Kurt Tucholsky, rekonstruiert das "Making of" und ist einerseits begeistert, via Internet das Entstehen quasi "live" nachvollziehen zu können, andererseits wird hier auch die Ursache unterstellt:
"Es ist ja häufig kaum nachzuvollziehen, warum und weshalb bestimmte Aussagen Tucholsky untergeschoben werden. Um so schöner ist es daher, wenn sich die offensichtlich falsche Verbindung eines Textes mit der Autorschaft Tucholskys einmal “live” mitverfolgen lässt.
Seit gut zwei Wochen geistert im Internet (wo sonst) ein Gedicht herum, das Tucholsky angeblich 1930 in der Weltbühne veröffentlicht hat. Es beschreibt so perfekt die aktuelle Finanzkrise, dass jede Debatte um eine mögliche Vergleichbarkeit mit der Weltwirtschaftskrise von 1929ff sofort verstummen müsste: Heute alles genau wie damals!"
Der weitere Argumentationsgang ...
"Aufklärung" liefert die Frankfurter Rundschau (23.10.2008), die uns zudem klar macht, dass Tucholsky wohl etwas anders argumentiert hätte:
Falsch. Der Text findet sich ursprünglich auf der Website eines gewissen, "freiheitlich" gesinnten Pannonicus (www.genius.co.at/index.php?id=165), der mit richtigem Namen Richard G. Kerschhofer heißt, öfter für die deutlich rechts angesiedelte österreichische Zeitschrift "Zeitbühne" schreibt und wohl auch gewisse Sympathien für die FPÖ hegt. Hätte Tucholsky zum Beispiel jemals von der "Spekulantenbrut" gesprochen oder klingt hier nicht vielmehr ein völkisches Ressentiment an? Ist ja nur 'ne Frage…
Tucholsky war da schon weiter. 1930 erschien in der "Weltbühne" unter dem Pseudonym Theobald Tiger sein Gedicht "Die freie Wirtschaft" und machte die Leser mit dem Klassenstandpunkt vertraut: "…merkt ihr nicht, was mit euch gespielt wird? / mit wessen Schweiß der Gewinn erzielt wird? / Komme, was da kommen mag. / Es kommt der Tag, / da ruft der Arbeitspionier: / Ihr nicht. / Aber Wir. Wir. Wir."
[Materialien für die gleichnamige Vorlesung und Übung am Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien: "Authentizität@Gesellschaft - Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die Suche nach dem Original und auf die Dynamiken von Fake, Konstruktion und Fälschung"]
Der Suedblog (23.10.2008), das Weblog zu Kurt Tucholsky, rekonstruiert das "Making of" und ist einerseits begeistert, via Internet das Entstehen quasi "live" nachvollziehen zu können, andererseits wird hier auch die Ursache unterstellt:
"Es ist ja häufig kaum nachzuvollziehen, warum und weshalb bestimmte Aussagen Tucholsky untergeschoben werden. Um so schöner ist es daher, wenn sich die offensichtlich falsche Verbindung eines Textes mit der Autorschaft Tucholskys einmal “live” mitverfolgen lässt.
Seit gut zwei Wochen geistert im Internet (wo sonst) ein Gedicht herum, das Tucholsky angeblich 1930 in der Weltbühne veröffentlicht hat. Es beschreibt so perfekt die aktuelle Finanzkrise, dass jede Debatte um eine mögliche Vergleichbarkeit mit der Weltwirtschaftskrise von 1929ff sofort verstummen müsste: Heute alles genau wie damals!"
Der weitere Argumentationsgang ...
"Aufklärung" liefert die Frankfurter Rundschau (23.10.2008), die uns zudem klar macht, dass Tucholsky wohl etwas anders argumentiert hätte:
Falsch. Der Text findet sich ursprünglich auf der Website eines gewissen, "freiheitlich" gesinnten Pannonicus (www.genius.co.at/index.php?id=165), der mit richtigem Namen Richard G. Kerschhofer heißt, öfter für die deutlich rechts angesiedelte österreichische Zeitschrift "Zeitbühne" schreibt und wohl auch gewisse Sympathien für die FPÖ hegt. Hätte Tucholsky zum Beispiel jemals von der "Spekulantenbrut" gesprochen oder klingt hier nicht vielmehr ein völkisches Ressentiment an? Ist ja nur 'ne Frage…
Tucholsky war da schon weiter. 1930 erschien in der "Weltbühne" unter dem Pseudonym Theobald Tiger sein Gedicht "Die freie Wirtschaft" und machte die Leser mit dem Klassenstandpunkt vertraut: "…merkt ihr nicht, was mit euch gespielt wird? / mit wessen Schweiß der Gewinn erzielt wird? / Komme, was da kommen mag. / Es kommt der Tag, / da ruft der Arbeitspionier: / Ihr nicht. / Aber Wir. Wir. Wir."
[Materialien für die gleichnamige Vorlesung und Übung am Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien: "Authentizität@Gesellschaft - Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die Suche nach dem Original und auf die Dynamiken von Fake, Konstruktion und Fälschung"]
kschoenberger - 3. Nov, 16:30
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