Linz: Weblog '05-Rückblick

Am Vergangenen Dienstag und Mittwoch fand in Linz der Workshop "Weblog '05" statt. Das Programm organisierten Jan Schmidt (Bamberg) und Bernard Batinic (JKU Lonz).
Paralell zum Workshop wurden im Vorfeld ein Weblog und ein Wiki aufgesetzt. Hier finden sich die Titel der einzelnen Beiträge, Hinweise auf die ReferentInnen sowie Selbstdarstellungen einzelner TeilnehmerInnen.

Einen Rückblick von Veranstalterseite können wir im Bamblog
von Jan Schmidt nachlesen. Fotos vom Linzer Workshop finden wir bei flickr.com.

Der Workshop wurde von Jan Schmidt (Bamberg) eröffnet. Er leitete die Tagung mit einigen grundsätzlichen kommunikationssoziologischen Betrachtungen über die "Praktiken des Bloggens" ein. Darin unterstrich er die Position, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, dass sich auch dieses Medienformat derart ausdifferenziert hat, dass die Perspektive "Weblog" tendenziell obsolet werden wird. Darüber hinaus eröffnete Jan Schmidt aber auch einen Einblick in erste Ergebnisse seiner großen Umfrage "Wie ich blogge" (beendet am 31.10. 2005). Spannend aus meiner Sicht ist hier insbesondere das Ergebnis, dass es in der Altersklasse unter 20 wiederum die jungen Frauen und Mädchen sind, die die mit Abstand die Mehrzahl der Blogger stellen. Und auch in der zahlenmässig größten Gruppe der 20-40 Jährigen beträgt der Vorsprung der männlichen Blogger gerade sieben Prozent. Angesicht der Zusammensetzung (Selbstauswahl) der TeilnehmerInnen dieser Umfrage ist das auch für diese Befragten-Gruppen eine relativ hohe Zahl (verglichen mit früheren ähnlichen Online-Umfragen) an weiblichen Nutzern. Das eröffnet den Raum für diversen Interpretationen. Beispielsweise in die Richtung, dass u.U. bei einer repräsentativen Umfrage eine weitaus höhere Zahl an weiblichen Bloggerinnen verzeichnet werden könnte. Jan Schmidts Zahlen unterstreichen aus meiner Sicht die These, dass die Weblog-Nutzung (und insbesondere die an das traditionale Kulturmuster 'Tagebuchschreiben' erinnernende persönliche Online-Journal) sehr stark weiblich geprägt ist. Vgl. hierzu a. Schmidt/Schönberger/Stegbauer: Erkundungen von Weblog-Nutzungen. Anmerkungen zum Stand der Forschung. oder auch Schönberger: Weblogs: Persönliches Tagebuch, Wissensmanagement-Werkzeug und Publikationsorgan. Erscheint 2006 in: Schlobinski, Peter (Hg.): Sprache und Kommunikation in den Neuen Medien.

Bei meinem eigenen Beitrag ("Weblogs zwischen Banalisierungsszenario, Subversionsversprechen, Kulturpessimismus und Technikeuphorie") beeindruckte mich die Konsequenz wie die Diskussion sich um den Kern der Aussagen des Vortrags herumdrückte. Der Beitrag richtete sich zum einen gegen den massenmedialen wie Blogosphären-Diskurs über die Trivialität der persönlichen Weblogs sowie die in ihnen angeblich zum Vorschein kommende "Banalität des Alltags". Dieser Diskurs wurde mit Hilfe von Bourdieus Begrifflichkeit und unter Rückgriff auf historisch vergleichbare Auseinandersetzungen um "Lesewut" und "Lesesucht" im 19. Jhdt. als "symbolischer Klassenkampf" interpretiert. In diesem Zusammenhang wurde auch die weitgehende wissenschaftliche Abstinenz hinsichtlich den persönlichen Online-Journalen interpretiert (Womit - by the way - nicht gesagt werden soll, wer etwa andere Nutzungsformen untersucht, automatisch in diesem Diskurs zu verorten sei).
Zum anderen kritisierte der Vortrag das Subversionsversprechen im Hinblick auf das Demokratiepotenzial. Demgegenüber wurden Weblogs als "Technik der begrenzten Entgrenzung" charakterisiert. Entgrenzend nämlich in dem Sinne, dass Nutzer mit entsprechendem kulturellem (aber auch sozialem Kapital) durchaus einen Zuwachs an Autonomie und Partizipation an der Medienöffentlichkeit erfahren können. Dieses Enabling-Potenzial lässt sich jedoch nicht unabhängig von nach wie vor wirkenden Vorgaben und Rahmenbedingungen bestehender sozialer Strukturierungen der Offline-Welt realisieren.
Von all dem war in der Diskussion nicht mehr die Rede. Es wurde ganz schnell das Thema gewechselt (vielleicht weil der Kern der vorgetragenen Argumenation auch auf Intentionen der Workshop-Teilnehmer selbst zielte? - wenn z.B. Formulierungen auftauchen, dass sich bei zahlreichen Weblogs sehr bald die Spreu vom Weizen trenne). Bezeichnenderweise wurde erneut über Journalismus oder über die Frage des Datenschutzes diskutiert. Da drängt sich die Vermutung auf, dass eine kontroverse Diskussion umgangen wurde.

Ein weiterer Grund hierfür war sicherlich auch, dass das, was viele als erfrischend und belebend empfunden haben, nämlich die Hetereogenität des Programms und die Zusammensetzung der TeilnehmerInnen, eine Zuspitzung erschwerte. Was sich m.E. zunehmend herauskristallisiert, ist, dass es künftig vielleicht nur noch bedingt Sinn machen wird "Weblogs" an sich zum Thema solcher Konferenzen zu machen. Zu verschieden sind inzwischen die Funktionen und die Absichten, die mit mit den diversen Nutzungsformen verbunden sind. Jan Schmidt hat darauf auch schon selbst hingewiesen, als er den Terminus "Praktiken des Bloggens" begründete. Die Gemeinsamkeiten lassen sich dann nur noch medienwissenschaftlich artikulieren.

Dass Einblicke in die Praxis von Beratern oder Providern nicht unbedingt theorielos oder beliebig ausfallen muessen unterstrichen die Beiträge von Martin Röll und Dieter Rappold ("Beyond Weblogs. Das persönliche Management von Kommunikationen") von knallgrau (dem Anbieter von twoday.net) , die auf ihre Weise jeweils sehr erhellend waren. Bei Rappold beeindruckte die Klarheit, mit der er seine Überlegungen zur Entwicklung von Social Software im Hinblick eines Übergangs von einer aufgabenorientierten zu einer personenorientierten Perspektive bzw. von der personenbezogenen zur sozialen, kollaborativen und vernetzenden Perspektive begründete.
Martin Roell erläuterte uns seine Arbeit als /Weblog-)Technologie-Berater für Firmen entlang der Problemstellung "Brauchen Organisationen Weblogs?". Hier blitzte die Frage nach den Aufgaben und Strukturen auf, die bei der Einführung von Weblogs in Unternehmen tangiert werden.

Diese Frage tauchte dann am zweiten Tag im Kontext der Diskussion von Thomas N. Burgs Referat "TechnologyLog: Social Software in Organisationen" erneut auf. Sehr schnell drehte sich die Diskussion darüber, welche soziale Innovationen auf organisatorischer Ebenen Social Software benötigt, um ihr Enabling-Potenzial organisationskulturell realisieren zu können. Das hierin die Crux der meisten technologisch orientieren Organisationsberatung besteht, war zwischen den DiskutantInnen nicht umstritten. Nur die Frage, was daraus folgt wurde unterschiedlich bewertet.

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