Im September 2005 fand im Karlsruher ZKM eine Tagung zum Thema
"Weblogs, Podcasting und Videojournalismus" statt. Auf diesem Treffen ging es mitunter hoch her (Auch in dem hier anzuzeigenden Band wird das Auftreten sogenannter A-List-Blogger thematisiert; vgl. die Einleitung oder auch den Beitrag von Claus Leggewie, der von der Schaffung eines "relativ autonomen Elitensegment" spricht).
Inzwischen liegt die Dokumentation der Tagung in Buchform vor. Beim
Heise-Verlag, wird es wie folgt beworben:
Die zunehmende Verbreitung von Weblogs, Podcasting und Videojournalismus revitalisiert Erwartungen, die bereits in den 1990er Jahren mit dem Internet verbunden waren: Führt die Nutzung jener Technologien zu mehr Demokratie, neuen Formen des Journalismus, neuen wirtschaftlichen Impulsen?
Der vorliegende Band untersucht abseits von Euphorie und Kulturpessimismus die demokratischen und ökonomischen Potenziale der neuen Kommunikationsformate. Dies wird aufgrund der perspektivischen Vielseitigkeit der Beiträge realisiert: Sowohl private Anwender als auch Akteure aus der Wirtschaft stellen ihren Umgang mit den aktuellen Medientechnologien dar - der Blickwinkel der Praxis wird schließlich durch Beiträge aus der interdisziplinären Forschung erweitert.
Vanessa Diemand / Michael Mangold / Peter Weibel (Hrsg.)
Weblogs, Podcasting und Videojournalismus
Neue Medien zwischen demokratischen und ökonomischen Potenzialen
Verlag Heinz Heise
234 Seiten, Broschur
18,- EUR (D) / 18,60 EUR (A) / 32,- sFr
ISBN 3-936931-41-0
Inhaltsverzeichnis
Zum
Weblog des Buches
Im
Einleitungskapitel (Teil 1) Teil 2) S. 3-18) von Vanessa Diemand/Michael Mangold/Peter Weibel wird nochmals die Debatte um Kulturpessimismus und Technikeuphorie aufgemacht und dargestellt. Das ist ganz brauchbar, weil sich daran die Frage anschließt, was denn von der Euphorie um Web 2.0 vor dem Hintergrund der letzten Interneteuphorie zu halten ist. Diese historisierende Perspektive ist vom Ansatz her sinnvoll. Es ist allerdings die Frage, ob es Sinn macht, Behauptungen aufzustellen wie:
"Das Internet scheint heute durch die Nutzung der erläuterten Technologien seinen 'wahren Wert' zu präsentieren, es wird als interaktiver, dezentraler und transnationaler Kommunikationsraum wahrgenommen und aktiviert." (S. 11)
Das ist sicherlich richtig, fragt sich nur für wen und wann. Wenn solche Aussage nicht in Nutzerkontexte rückgebunden werden, dann verwandeln sie sich flugs erneut in Web 2.0-Apologien, die eben vom Medium an sich ausgehen und nicht von den sozialen Kontexten.
Insgesamt orientiert sich der Band - wie in Deutschlands Blogforschung leider üblich (Vgl.
Schmidt/Schönberger/Stegbauer 2005) - im wesentlich auf das Thema der Transformation von Öffentlichkeit. Der so genannte "long tail" (also jene massenhaft ausgeübten Praktiken des Bloggens, die häufig als "Persönliche Journale" bezeichnet werden) interessiert nicht und wird nur am Rande hin und wieder erwähnt. By the way: Eine solche verzerrte Wahrnehmung der Blogossphäre ist auch der Tatsache geschuldet, dass die Nachfolgedisziplinen der Volkskunde sich bisher kaum mit dem Blog-Thema beschäftigt haben.
Im vorliegenden Band ist in dieser Hinsicht der Beitrag von Vanessa Diemand ("Gesicht wahren im Web 2.0. - Blogs zwischen Authentizität und Inszenierung") der interessanteste. Immerhin arbeitet sie sich an einem der zentralen Dispositiv-Merkmalen der Blogs ab: Subjektivität ("Die Subjektivität von Weblogs ist ihr zentrales Merkmal, das je nach Blickwinkel als Stärke oder Schwäche des Mediums interpretiert wird", S. 63). Sie bezieht sich dabei auf Georg Simmel und auf Joachim Höflichs (an Goffmann angelehnte) theoretische Konzeption des Medienrahmens. Dabei versucht sie zu klären, inwiefern man wirklich von Authentitzität oder von Inszenierung von Subjektivität im Zusammenhang der Selbstdarstellung von Weblogs sprechen kann. Das ist in einer volkskundlich-kulturwissenschaftlichen Perspektive - mit dem spezifischen Interesse an den Selbstdeutungen der Subjekte bzw. der NutzerInnen - nicht zentral. Vor dem Hintergrund der Diskussion über das, man als Mediendispositiv oder Medienrahmen bezeichnet, ist es aber sehr wohl von Bedeutung, weil diese Debatte auch die Selbstdeutungen beeinflusst.
Interessant ist jener Teilaspekt des "Hard Scientist-Blogging", eine Debatte, in die wir selbst verwickelt waren/sind (
"So nicht, Akademiker!"), der hier in vielen Beiträgen aufscheint und die ja letztlich auf der hier dokumentierten Konferenz Ihren Ausgang genommen hat. In einigen Beiträgen wird darauf eingegangen. Besonders erhellend empfand ich dabei die Analyse von Vanessa Diemand (S. 68 ff.) über die "Rollenverwirrung" des Bloggers und Wissenschaftlers Jan Schmidt (mein geschätzter Kollege und Mitherausgeber von kommunikation@gesellschaft).
In dem bereits zitierten Beitrag von
Schmidt/Schönberger/Stegbauer 2005) wird in diesem Zusammenhang auf eine viel früher stattgefundende methodische Diskussion im Kontext der Empirischen Kulturwissenschaft / Volkskunde / Kulturanthropologie zum Thema "Research up" hingewiesen.
Vgl. a. Gert Dressel & Nikola Langreiter:
Wenn "wir selbst" zu unserem Forschungsfeld werden. In FQS Volume 4, No. 2, Art. 27 – Mai 2003
Insgesamt finden sich in diesem Band einige Anregungen zur Diskussion hinsichtlich der "Potenziale" von "Web 2.0.-Anwendungen". Das Buch handelt aber mehr von Diskursen, denn von Praktiken.
Update, 17.12. 2006:
Zur Diskussion weiterer Aspekte vergleiche den Blogeintrag im
Bamblog von Jan Schmidt, der sich im übrigen etwas irritiert zeigt, dass er nun
"also nicht nur ein Kowi-Frosch, der Labormäuse beobachtet,
sondern auf einmal eine Kowi-Maus, die von Laborfröschen beobachtet wird, wie sie Labormäuse beobachtet…"
ist.
kschoenberger - 13. Dez, 15:48