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Kulturanthropologische Einführung in YouTube

Hier ein Vortrag (55 min) von Michael Wesch in der Library of Congress. Es werden nicht nur kulturelle Veränderungen durch neue Medien und neue Mediennutzungen dargestellt, nebenbei erklärt er auch kurz "teilnehmende Beobachtung".


Auch sein Video "Web 2.0 ... The Machine is Us/ing Us" ist sehr sehenswert, obwohl mich so schnelle Schnitte auf dem PC-Monitor betrachtet nervös machen. Ist nun mal kein Fernseher, sondern ein Nahseher.
 

Wolfgang Zeglovits: "Reales, virtuelles Leben: 'Für Junge kein Unterschied'“

Zum Thema Online/Offline hat die Wiener Tageszeitung "Die Presse" (26.04.2008), Wolfgang Zeglovits (Wien) interviewt. Das Interview ist im Rahmen des "Thema des Tages: Die Gesellschaft der Voyeure" plaziert und es finden sich eine Reihe von zwar kulturpessimistisch motivierten aber gar nicht so uninformativen Beiträgen zum Thema Privatheit und Internet. Wolfgang Zeglovits hält dagegen und argumentiert historisch:

"Medienanthropologe Wolfgang Zeglovits sieht YouTube & Co. als weltweiten Vertriebskanal für private Medienmacher.

Warum veröffentlichen User selbst erstellte Inhalte im Netz?

Zeglovits: Das Bedürfnis nach Öffentlichkeit gab es schon immer. Nur fehlten der Masse die technischen Möglichkeiten. Heute ist der PC ein Universalgerät zur Medienerstellung. Jedermann kann Videos auf einem Niveau schneiden, von dem früher Profis träumten. Das Internet ist nur ein Hilfsmittel zur Distribution. Die finanziellen Hürden und das notwendige Know-how sind deutlich geringer als vor wenigen Jahren.

Das Internet ist nur Mittel zum Zweck, nicht aber der Grund für den neuen Exhibitionismus?

Zeglovits: Der Wille zur Selbstdarstellung ist Teil des menschlichen Naturells. Schon in den 1980er Jahren haben Zuseher Videokassetten mit ihren schrägsten Aufnahmen an die „Hoppala“-Redaktion des ORF geschickt. Allerdings mit der Einschränkung, dass sie von der Redaktion bewertet und nur die besten ausgestrahlt wurden. Das ist jetzt nicht mehr nötig. Bei YouTube hat man eine Garantie, auf Sendung zu gehen. Ganz ähnlich ist es mit Leserbriefen einer Zeitung, bei denen anders als bei einem Weblog eine Vorauswahl getroffen wird."


Das ganze Interview
 

Der lange Arm des 'Real Life' - Über den prognistischen Wert Kulturwissenschaftlicher Technikforschung

Christoph Neubergers Projektgruppe zu StudiVZ-Studie hat u.a. einen Befund bestätigt, der bereits vor zehn Jahren in der Kulturwissenschaftliche Technik- bzw. Internetforschung erhoben bzw. als Merkmal der Internetdiffusion angesehen wurde (s.u.):

"Manche befürchteten, in Zeiten von Online-Communities könnte der Nachmittagskaffee mit Freunden ausgedient haben und sich stattdessen jeder zu Hause vorm Computer in der StudiVZ-Welt vergnügen.

Die Ergebnisse der Projektgruppe widerlegen solche Befürchtungen: Nach wie vor bevorzugen Studierende bei engen Freunden den persönlichen Kontakt. Pinnwandeinträge oder Nachrichten im StudiVZ rangieren bei ihnen nach Treffen, SMS, Telefon oder E-Mail erst an fünfter Stelle. Verdrängungseffekte hat es durch die Community allenfalls in der elektronischen Kommunikation gegeben: Die befragten Nutzer geben an, durch das StudiVZ weniger E-Mails oder SMS zu schreiben.

Im StudiVZ pflegen Nutzer vor allem entfernte Kontakte, etwa zu alten Schulfreunden. "Hier hat das Netzwerk teilweise zu häufigeren Kontakten beigetragen", so Prof. Neuberger. Neue Kontakte ergeben sich durch die Plattform kaum: Rund zwei Drittel der Befragten geben an, keine neuen Kontakten via StudiVZ geknüpft zu haben. Demgegenüber stehen gerade einmal fünf Prozent, die viele oder gar sehr viele neue Leute über das Netzwerk kennen gelernt haben."


Immer wieder umstritten ist die Prognosefähigkeit der Sozial- und Kulturwissenschaften. Ein gutes Beispiel für eine solche Aussage über zuukünftige Entwicklung im Kontext von Medieninnovationen ist die Frage nach der Diffusion des Internet und auch nach den zu erwartenden Nutzungspraktiken. In diesem Zusammenhang sei nochmals an die Ergebnisse des Tübinger DFG-Projekts "Zur Transformation der Alltagsbeziehungen von InternetnutzerInnen (1998-2000) erinnert. Dieselben stammen aus heutiger Sicht noch aus der "Vorgeschichte" des Internet, wenngleich soviel sich auch nicht so viel geändert hat, wie Begriffe à la "Web 2.0" oder "Social Software" behaupten.

Das Internet galt insbesondere zu Beginn Mitte der 90er Jahre (und gilt bis heute) als jenes Symbol der Globalisierung, ohne dass man einfach nicht mehr mithalten und mitreden könne. Es wurden weitreichende Behauptungen aufgestellt, in welcher Weise sich lokale soziale Bezüge erübrigen und an Bedeutung verlieren würden.

Dabei hätte man auch schon damals aus der Geschichte des Telefons wissen können, dass auch das Telefon vor allem dazu dient(e), lokale Bezüge und den sozialen Nahraum zu unterstützen. Aus der Beschleunigung der technologischen Entwicklung wurde aber unisono auch eine entsprechende Dynamik für soziale Praxen und ihre soziokulturellen Praktiken abgeleitet. Und eine der Charakteristka von "Wissensgesellschaft" liegt offenbar darin, gesichertes Wissen und bereits historisch gemachte Erfahrungen für obsolet zu erklären und immer neuen Hypes hinterherzulaufen. Insofern ist das Münsteraner Ergebnis gar nicht so erstaunlich, wie die Presserklärung der Universität der ForscherInnen nahelegt.

Denn bereits für die Frühzeit des Internet gibt es Untersuchungen jenseits der Medienwissenschaften, die den nun herausgefundenen Zusammenhang festgehalten haben:

"Im oder besser mit dem Netz wird dasselbe Leben geführt wir im ‚real life‘; IuN dienen dazu, bestehende soziale Netzwerke zu intensivieren.
(...)
Deshalb ist Hoffnungen auf neue Menschen („netizens“) oder
Beziehungen („virtual communities“) der Befund entgegenzuhalten, daß im Hinblick auf die Nutzung von IuN und dem Aufbau neuer und andersartiger Kontakte als im ‚real life‘ weitgehende Fehlanzeige zu verzeichnen ist.
(...)
Die Aneignung und Nutzung von IuN erfolgt im Kontext bestehender sozialer Beziehungen und Praxen. IuN dienen in erster Linie der Organisation des ‚real life, zur Pflege sozialer Beziehungen im Nahbereich sowie von schon bestehenden Bekanntschaften, Freundschaften und Verwandtschaftsbeziehungen.
(...)
Virtuelle Re-Integration
IuN ermöglichen die Stabilisierung, Wiederbelebung, Erweiterung und Aufrechterhaltung von Beziehungen in durch räumliche Trennung bedrohten sozialen Netzwerken.
• Stabilisierung und Wiederbelebung:
Es zeigt sich, daß insbesondere in den Untersuchungsgruppen
mit hoher beruflicher Mobilität der Wegzug oder die räumlich weite Entfernung von Freunden wichtige Einstiegsgründe sein können. Auf die räumliche Trennung wird mit einer virtuellen Re-Integration geantwortet. Soziokulturelle Normen, die es in bestimmten sozialen Netzwerken selbstverständlich machen, eine Email-Adresse zu besitzen, und objektive berufliche Gegebenheiten ergeben ein Gemengelage von Nutzungsweisen und Nutzungsgründen.
Wir unterscheiden dabei „Weihnachtskartenbeziehungen“ von wiederbelebten Beziehungen. Letztere entstehen nur wieder, weil
es IuN ermöglicht."


Damaliges Fazit:
"Der lange Arm des ‚real life‘ wirkt auch in der Netzkommunikation fort."

Quelle: Schönberger, Klaus: Internet und Netzkommunikation im sozialen Nahbereich. Anmerkungen zum langen Arm des ›real life‹. In: forum medienethik 2/2000: Netzwelten, Menschenwelten, Lebenswelten. Kommunikationskultur im Zeichen von Multimedia, S. 33-42. Online verfügbar unter: http://www.fatk.uni-tuebingen.de/files/ethik.pdf

Eine weitere Studie über ein anderes Netzwerk des sogenannten Web 2.0, Xing, kommt zu einem ähnlichem Ergebnis wie die Münsteraner Studie:
Renz, Florian: Praktiken des Social Networking: Eine kommunikations­soziologische Studie zum online-basierten Netzwerken am Beispiel von openBC (XING). Boizenburg. 2007.

Vgl. die Rezension der Arbeit von Thies W. Böttcher bei kommunikation@gesellschaft:

"Ein herauszuhebendes Ergebnis ist, dass Nutzer vorherrschend (hypothetisch, denn eine klarere Aussage lässt die Datenmenge nicht zu) eine Mischung aus privaten und geschäftlichen Kontakten, die schon vor der Nutzung von openBC Bestand hatten, pflegen (im „Ausblick“ des Buches wird der Mangel an neu generierten Kontakten durch die quantitative Studie eines Marktforschungsunternehmens gestützt). Dies widerspricht der „Idealvorstellung“ der Seitenbetreiber, dass in großem Maß neue Geschäftskontakte über die Plattform geknüpft werden (S. 93). Das Hauptmotiv, das einer der befragten Nutzer äußerte, nämlich „mit Leuten in Kontakt zu bleiben“ (S. 91), könnte sich in einer quantitativen Studie bewähren."

Es ist dieser Blick auf die historische Entwicklung, die den Vorzug von Kulturwissenschaftlicher Technikforschung gegenüber anderen mit dem Internet beschäftigten Disziplinen auszeichnet.
 

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Die Soziologen Thies Albers und Thomas Dierschke von der WWU Münster bloggen unter Internet Gesellschaft
Da passierte seit April erstmal nichts, ich habe schon an meinem RRS-Reader gezweifelt und laut meinen Bildschirm angemault: Jetzt bloggt doch mal endlich. Der Sinn des Blogs ist aber eher die Dokumentation einer Ringvorlesung zum Thema "Wie verändert das Internet unser Leben und die Gesellschaft?" und nicht so sehr das tagesaktuelle Berichten. Jetzt läuft die Sache und einer der Referenten, Prof. Dr. Gottfried Vossen vom Institut für Wirtschaftsinformatik der WWU, hat auf dieses lustige Video hingewiesen:



Seit Tagen denke ich darüber nach, wie wohl die kulturwissenschaftliche Technikforschung auf den Aufruf von Ludger Heidbrink, Claus Leggewie und Harald Welzer reagieren wird, das Supermarkt-Video hat mich erstmal nur an diesen Kino-Spot von Greenpeace erinnert, der eine ziemlich gute Erklärung für "E-Mail" bietet.

"Hier bloggt der Chef" - Corporate Blogs auf dem Vormarsch?

lautet die Überschrift eines Artikels von Jean-Michel Berg in der Süddeutsche Zeitung , (2.11.2007)
über "Unternehmen im Netz", die entdeckt haben, dass das Weblog-Medienformat durchaus für ihre eigenen Zwecke quasi "eigensinnig" (angesichts der Erzählungen über Gegenöffentlichkeit und Bloggen" (1) um in der Terminologie der Nachfolgedisziplinen der Volkskunde zu argumentieren:

"Neben der obligatorischen Internetpräsenz haben Unternehmen das Bloggen entdeckt. Zählt also die Meinung des Verbrauchers doch?
(...)
Auf diese sogenannte Blogosphäre haben die Netz-Utopisten zuletzt ihre Hoffnungen gesetzt. Wer einen Internetzugang hat, kann zu jedem Thema seine Meinung äußern; staatliche Zensur ist kaum möglich, und jede Stimme hat potentiell das gleiche Gewicht. Das mag noch kein idealer herrschaftsfreier Diskurs sein, aber das alte Konzept vom Bürgerjournalismus konnte sich nie stärker verwirklichen als hier. Blogs bilden eine Gegenöffentlichkeit - in manchen Ländern gar die einzig relevante - , und sie haben eine große Leserschaft.

In der westlichen Welt haben bislang vor allem Großkonzerne ihre Macht zu spüren bekommen; nun versuchen sie, die Deutungshoheit über ihre Unternehmungen zurückzugewinnen. Zur obligatorischen Internetpräsenz ist der "Corporate Blog" hinzugekommen. Bei General Motors etwa bloggt der Vize-Chairman Bob Lutz, bei Daimler schreiben seit einigen Tagen die Mitarbeiter.

Dass die Unternehmen sich in Webtagebüchern an die Verbraucher wenden, sich auf eine gemeinsame Ebene begeben, das klingt nach einer frohen Botschaft. Der Daimler-Blog verspricht sogar den "Einblick in einen Konzern". Zählt also die Meinung des Verbrauchers doch? Kann er hier auf die Politik des Unternehmens einwirken, wenn es um Umweltschutz oder Kinderarbeit geht?"


Mit dieser Tendenz zu den Corporate Blogs ist der Autor unzufrieden:

"Man kann den Unternehmen nicht einmal vorwerfen, dass sie ihre privaten Interessen bedienen. Ärgerlich ist aber, wenn sie dem Ganzen einen öffentlichen Anschein geben. Aber so ärgerlich nun auch wieder nicht: Denn solange hier der Schein regiert, solange keine wirklichen Einblicke gewährt und keine wirkliche Diskussion stattfindet, werden solche Blogs auch kaum Aufmerksamkeit finden. Und Aufmerksamkeit ist nun mal die Währung des öffentlichen Raumes."

(1) Vgl. hierzu auch: Tobler, Beatrice: Das Internet an den Graswurzeln packen … Zur Tragweite von Graswurzelbewegungen im Internet am Beispiel von Weblogs. In: Hengartner, Thomas/Moser, Johannes (Hg.): Grenzen & Differenzen. Zur Macht sozialer und kultureller Grenzziehungen. Leipzig 2006, S. 675-683.
 

Wikipedia-Büro- + Technokratie-Oligarchie - not amused

In den vergangenen Wochen ist ein Buch im Münsteraner Unrast-Verlag erschienen, dass offensichtlich für Furore hinter den Kulissen sorgt:

Verlag und Autor haben in diesem Zusammenhang eine Presserklärung veröffentlicht, der die Problematik mit Wikipedia anschaulich zusammenfasst und durchaus auch eigene Erfahrungen wiedergibt:

"PRESSEERKLÄRUNG "WIKIPEDIA INSIDE". OKTOBER 2007
Unter den Aktiven der deutschsprachigen Wikipedia-Ausgabe sorgte das Erscheinen von "Wikipedia inside" für einige Furore. Unter den Wikipedianern und Wikipedianerinnen wird das Buch rege, allerdings auch recht kontrovers diskutiert. Mit Grund: Als lifestyliger Wohlfühltitel, der es allen recht macht und keinem weh tut, war "Wikipedia inside" nie gedacht. Die Reaktionen auf den Titel, zu verfolgen in den Weblogs diverser Aktivisten sowie internen Wikipedia-Seiten sind folgerichtig gespalten: "Not amused" ist ein Teil der Projektprominenz vor allem aufgrund der Tatsache, daß einige der dargestellten Fakten, Trends und Ereignisse recht wenig in das nette, freundliche und strebsame Heile-Welt-Bild passen, welches die Wikipedianer gern von sich vermitteln möchten. Die Faktenlage ist vielmehr durchwachsen. Zwar hat das freie Enzyklopädieprojekt einen beispiellosen Start hingelegt. Nach Google ist Wikipedia unangefochten Wissenspool Nummer zwei im Internet; was die reinen Artikelzahlen angeht, hat das Internet-Lexikon sämtliche etablierten Nachschlagewerke hinter sich gelassen. Allerdings: Neben den schönen Seiten thematisiert "Wikipedia inside" allerdings auch die weniger schönen. Schmusekurs mit rechtslastigen Schreibern, wenige Wikipedianerinnen, Bürokratie, Kasernenhofton, eine seltsame bis sektiererische Wikipedia-Ideologie sowie eine recht bedenklich stimmende Datenerfassungswut bestimmen das derzeitige Bild des freien Internet-Nachschlagewerks ebenso wie die vielen schönen (und auch weniger schönen) Enzyklopädieartikel, die man dort nachschlagen kann.

Kann, sollte oder muß man gar über Wikipedia Hofberichterstattung betreiben? Nein, keinesfalls. Nimmt man das Projekt und seine Potentiale ernst, wäre eine solche sogar kontraproduktiv. Dieser Ansicht ist jedenfalls Günter Schuler, der Autor von "Wikipedia inside". Unter dem Benutzernamen Roger Koslowski arbeitete er rund ein Jahr lang am freien Nachschlagewerk mit und betrieb dabei eifrig Recherchen für sein Buch. Fazit: Manches in der Welt der Wikipedia ist genial, manches exotisch und manches einfach unglaublich. Kritisch und engagiert beschreibt der Autor den Größenwahn, die Erfolge und die Aufbruchsstimmung, welche den Ausbau der weltgrößten Enzyklopädie stetig weiter vorantreiben. Günter Schuler benennt allerdings auch die Gefahren. Größentechnisch mag Wikipedia zwar Neuland betreten haben. Autoritäre Konfliktlösungsmechanismen, Intransparenz sowie die Gefahr des Hijackens der Enzyklopädieinhalte durch aufklärungsfeindliche Kräfte sind jedoch Gefahren, die nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollten. Angesichts der Bedeutung des Mediums sind sie nicht unerheblich. Vielmehr bergen sie in sich genug Sprengkraft, um die Zukunft des Online-Nachschlagewerks nachhaltig zu beschädigen. Wikipedia – quo vadis? Wer sich über den aktuellen Stand des derzeit wohl interessantesten Internet-Projekts informieren möchte, bekommt mit "Wikipedia inside" eine ebenso aufschlußreiche wie spannende Lektüre.



Mit dem Verfasser, Günther Schuler führte die Zeitschrift Konkret ein Interview durch, indem er einige problematischen Seiten der Aktivisten des Projekts zusammenträgt. (Roland Buhles: „Hier konkret“, konkret, Nr. 11, 2007, S. 3)



Klaus Graf vom Archivalia-Weblog bestätigt in der Tendenz die Kritikpunkte des Buches


Das Buch:
Günter Schuler: Wikipedia inside. Die Online-Enzyklopädie und ihre Community
Unrast Verlag
Münster, Juli 2007
280 Seiten, 18 Euro
ISBN-13: 978-3-89771-463-2

Der Blog zum Buch
 

Widerständige Praktiken des Bloggens

Der Blogblick (d.i. Bov Bjerg) der Netzzeitung (23.10.2007) greift die hier entfaltete Argumentation hinsichtlich des Bloggens als "durchaus innovative politische Strategie sich gegen staatliche Drangsalierung und Terrorisierung" zur Wehr zu setzen, auf. Darüber hinaus werden Einträge aus anderen Blogs aufgegriffen, die meine Hypothese von der Widerständigkeit dieser Praktik des Bloggens im Weblog Annalist quasi empirisch unterfüttern:

"maloXP stößt ins gleiche Horn: «Der Frage, inwieweit das bloße Schreiben über den eigenen Alltag in einem Blog bereits Dissidenz sein kann, darf nun auch hierzulande nachgegangen werden.» Kralli meint sarkastisch: «Dich kann das nicht treffen? Du triffst dich nicht mit bösen Leuten und hast immer dein Handy dabei? Weißt du denn, was ich so mache, wenn wir uns nicht sehen? Und ob ich mein Handy auch öfter nicht dabei hab?»

Der Anwalt Udo Vetter vermerkt lakonisch: «Das ist sehr mutig.» Unter seinem knappen Posting entspinnt sich eine ausgiebige Diskussion zum Thema. bo (Kommentar 20) versucht zu ergründen, warum die Überwachungsmaßnahmen so offen stattfinden: «Zumindest wegen Fluchtgefahr fährt der Mann zur Zeit NICHT ein. Und genau da könnte eine Erklärung dafür liegen, warum vielleicht jemand mit aller Macht versuchen könnte, den Beschuldigten und seine Angehörigen zu terrorisieren und unter Druck zu setzen und - na ja, ein wenig 'zu treiben'.»

genevainformation (Kommentar 31) spielt auf die Dynamik von Weblogs an: «Berichte über die Nebenwirkungen von polizeilichen Maßnahmen gab es wohl schon immer. Aber früher wurden die in kleinen Druckereien auf billiges Papier gedruckt und vom Normalmenschen aufgrund der typischerweise großen Anzahl komplizierter Worte nicht wahrgenommen.»

Was mögen die zur Überwachung abgestellten Beamten empfinden, wenn sie nach Feierabend im Blog von Annalist blättern? Der Mann, der im Supermarkt die Regale inspizieren muss; der Kollege, der so ausdauernd den Laternenpfahl anstarrt: Haben sie nicht das Bedürfnis, ihre Sicht der Dinge darzustellen? Das eine oder andere Detail zu korrigieren? Anders gefragt: Wann bloggen endlich die Polizisten? Wie das geht? Einfach die Kollegen fragen."


Die Links zu den zitierten Blog-Einträgen finden sich auf der Seite der Netzzeitung.
 

"Saddams Exekution als Unterhaltungsstück - Fliessende Grenzen zwischen Medien und Internet-Amateuren"

lautet der Titel eines bedenkenswerten Artikels in der Neuen Zürcher Zeitung (5.1. 2007).

"Die Hinrichtung von Saddam Hussein hat offensichtlich manche Internet-Aktivisten inspiriert. Was dabei herausgekommen ist, kann man auf bekannten Jekami-Websites wie YouTube begutachten. Dort findet man beliebige Variationen über Saddams letzte Minuten: zynische bis makabre Comics, Persiflagen, eine rätselhafte Performance, eine Bildergalerie zum Leben des Diktators, Ausschnitte aus Nachrichten von Fernsehsendern und vor allem ein inzwischen vielzitiertes Mobiltelefon-Video, das in verwackelten Aufnahmen die Exekution dokumentiert. Der Nutzer kann dabei wählen zwischen einer Tonspur mit den schwer verständlichen Worten der Henker oder einer Tonspur mit einem Rolling-Stones- Stück beziehungsweise mit arabischer Musik."

Das Mobile-Video wird hier nicht nur als Geschmacklosigkeit abgetan, sondern auch als ein Stück Aufklärung angesehen:

"Allerdings ist auf dem Video weniger zu sehen, als sich Gruselfilmfans vielleicht erhofften. Man sieht keinen am Strick hängenden Saddam. Die letzten Sequenzen zeigen «nur», wie er hinunterfällt. Dokumentiert wird aber damit, dass die Exekution tumultartig verlief. Diese Information enthält durchaus ein Stück Aufklärung."

Nur unsereins versteht natürlich nichts von dem was auf der Tonspur enthalten ist. [Bei YouTube muss man sich vorher registrieren, bei Google Video ist es offen zugänglich]

Der ganze Artikel
 

Tagungsdokiumentation: Weblogs, Podcasting und Videojournalismus

Im September 2005 fand im Karlsruher ZKM eine Tagung zum Thema
"Weblogs, Podcasting und Videojournalismus" statt. Auf diesem Treffen ging es mitunter hoch her (Auch in dem hier anzuzeigenden Band wird das Auftreten sogenannter A-List-Blogger thematisiert; vgl. die Einleitung oder auch den Beitrag von Claus Leggewie, der von der Schaffung eines "relativ autonomen Elitensegment" spricht).

Inzwischen liegt die Dokumentation der Tagung in Buchform vor. Beim Heise-Verlag, wird es wie folgt beworben:
ZKM-Buch

Die zunehmende Verbreitung von Weblogs, Podcasting und Videojournalismus revitalisiert Erwartungen, die bereits in den 1990er Jahren mit dem Internet verbunden waren: Führt die Nutzung jener Technologien zu mehr Demokratie, neuen Formen des Journalismus, neuen wirtschaftlichen Impulsen?

Der vorliegende Band untersucht abseits von Euphorie und Kulturpessimismus die demokratischen und ökonomischen Potenziale der neuen Kommunikationsformate. Dies wird aufgrund der perspektivischen Vielseitigkeit der Beiträge realisiert: Sowohl private Anwender als auch Akteure aus der Wirtschaft stellen ihren Umgang mit den aktuellen Medientechnologien dar - der Blickwinkel der Praxis wird schließlich durch Beiträge aus der interdisziplinären Forschung erweitert.

Vanessa Diemand / Michael Mangold / Peter Weibel (Hrsg.)
Weblogs, Podcasting und Videojournalismus
Neue Medien zwischen demokratischen und ökonomischen Potenzialen

Verlag Heinz Heise
234 Seiten, Broschur
18,- EUR (D) / 18,60 EUR (A) / 32,- sFr
ISBN 3-936931-41-0


Inhaltsverzeichnis
Zum Weblog des Buches

Im Einleitungskapitel (Teil 1) Teil 2) S. 3-18) von Vanessa Diemand/Michael Mangold/Peter Weibel wird nochmals die Debatte um Kulturpessimismus und Technikeuphorie aufgemacht und dargestellt. Das ist ganz brauchbar, weil sich daran die Frage anschließt, was denn von der Euphorie um Web 2.0 vor dem Hintergrund der letzten Interneteuphorie zu halten ist. Diese historisierende Perspektive ist vom Ansatz her sinnvoll. Es ist allerdings die Frage, ob es Sinn macht, Behauptungen aufzustellen wie:

"Das Internet scheint heute durch die Nutzung der erläuterten Technologien seinen 'wahren Wert' zu präsentieren, es wird als interaktiver, dezentraler und transnationaler Kommunikationsraum wahrgenommen und aktiviert." (S. 11)

Das ist sicherlich richtig, fragt sich nur für wen und wann. Wenn solche Aussage nicht in Nutzerkontexte rückgebunden werden, dann verwandeln sie sich flugs erneut in Web 2.0-Apologien, die eben vom Medium an sich ausgehen und nicht von den sozialen Kontexten.

Insgesamt orientiert sich der Band - wie in Deutschlands Blogforschung leider üblich (Vgl. Schmidt/Schönberger/Stegbauer 2005) - im wesentlich auf das Thema der Transformation von Öffentlichkeit. Der so genannte "long tail" (also jene massenhaft ausgeübten Praktiken des Bloggens, die häufig als "Persönliche Journale" bezeichnet werden) interessiert nicht und wird nur am Rande hin und wieder erwähnt. By the way: Eine solche verzerrte Wahrnehmung der Blogossphäre ist auch der Tatsache geschuldet, dass die Nachfolgedisziplinen der Volkskunde sich bisher kaum mit dem Blog-Thema beschäftigt haben.

Im vorliegenden Band ist in dieser Hinsicht der Beitrag von Vanessa Diemand ("Gesicht wahren im Web 2.0. - Blogs zwischen Authentizität und Inszenierung") der interessanteste. Immerhin arbeitet sie sich an einem der zentralen Dispositiv-Merkmalen der Blogs ab: Subjektivität ("Die Subjektivität von Weblogs ist ihr zentrales Merkmal, das je nach Blickwinkel als Stärke oder Schwäche des Mediums interpretiert wird", S. 63). Sie bezieht sich dabei auf Georg Simmel und auf Joachim Höflichs (an Goffmann angelehnte) theoretische Konzeption des Medienrahmens. Dabei versucht sie zu klären, inwiefern man wirklich von Authentitzität oder von Inszenierung von Subjektivität im Zusammenhang der Selbstdarstellung von Weblogs sprechen kann. Das ist in einer volkskundlich-kulturwissenschaftlichen Perspektive - mit dem spezifischen Interesse an den Selbstdeutungen der Subjekte bzw. der NutzerInnen - nicht zentral. Vor dem Hintergrund der Diskussion über das, man als Mediendispositiv oder Medienrahmen bezeichnet, ist es aber sehr wohl von Bedeutung, weil diese Debatte auch die Selbstdeutungen beeinflusst.

Interessant ist jener Teilaspekt des "Hard Scientist-Blogging", eine Debatte, in die wir selbst verwickelt waren/sind ("So nicht, Akademiker!"), der hier in vielen Beiträgen aufscheint und die ja letztlich auf der hier dokumentierten Konferenz Ihren Ausgang genommen hat. In einigen Beiträgen wird darauf eingegangen. Besonders erhellend empfand ich dabei die Analyse von Vanessa Diemand (S. 68 ff.) über die "Rollenverwirrung" des Bloggers und Wissenschaftlers Jan Schmidt (mein geschätzter Kollege und Mitherausgeber von kommunikation@gesellschaft).
In dem bereits zitierten Beitrag von Schmidt/Schönberger/Stegbauer 2005) wird in diesem Zusammenhang auf eine viel früher stattgefundende methodische Diskussion im Kontext der Empirischen Kulturwissenschaft / Volkskunde / Kulturanthropologie zum Thema "Research up" hingewiesen.

Vgl. a. Gert Dressel & Nikola Langreiter: Wenn "wir selbst" zu unserem Forschungsfeld werden. In FQS Volume 4, No. 2, Art. 27 – Mai 2003

Insgesamt finden sich in diesem Band einige Anregungen zur Diskussion hinsichtlich der "Potenziale" von "Web 2.0.-Anwendungen". Das Buch handelt aber mehr von Diskursen, denn von Praktiken.


Update, 17.12. 2006:

Zur Diskussion weiterer Aspekte vergleiche den Blogeintrag im Bamblog von Jan Schmidt, der sich im übrigen etwas irritiert zeigt, dass er nun
"also nicht nur ein Kowi-Frosch, der Labormäuse beobachtet, sondern auf einmal eine Kowi-Maus, die von Laborfröschen beobachtet wird, wie sie Labormäuse beobachtet…"
ist.
 

Zusammenfassungen vom Soziologentag in zu Web 2.0-Themen und dem Technikbegriff

Im Sozlog von Tina Günther gibt es zwei interessante Zusammenfassungen vom vergangene Woche stattgefundenden Soziologentag in Kassel.

Unter der Überschrift "Rumgammeln im Netz. Being Social" liefert sie einen Bericht über die Sektionssitzung der DGS-Sektion Kommunikations- und Mediensoziologie über "Social Software" (angeregt und geleitet von Michael Jäckel und Christian Stegbauer). Jan Schmidt hat im Bamblog seinen Beitrag "Praktiken des Bloggens - Stabilisierung und Dynamiken" bereits online gestellt.

Ein zweiter Bericht - im Kontext dieses Weblogs zur Kulturwissenschaftlichen Technikforschung interessierend - ist ihre Zusammenfassung "'Natürliche“ Technik?? Soziale Technik??' vom Panel "Die technische Natur der Gesellschaft".
Ein Weblog mit Informationen und Meinungen rund um Fragen der Kulturwissenschaftlichen Technikforschung

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Deutungsmuster und Erzählstrategien bei der Bewältigung beruflicher Krisenerfahrungen In: Seifert, Manfred/Götz, Irene/Huber, Birgit (Hg.): Flexible Biographien. Horizonte und Brüche im Arbeitsleben der Gegenwart. Frankfurt u. a. 2007, S. 167-184.








Anika Keinz, Klaus Schönberger und Vera Wolff (Hrsg.)
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