Birgit Huber über das Panel "Online-Offline" während dem Dresdner Volkskundekongress 2005

Nun ist auch in der Zeitschrift für Volkskunde Heft 2/2006 ein Bericht zum Panel
„Online/offline-Persistenz – Auflösung – Rekombination. Alte und neue Grenzen und Differenzen in der Nutzung neuer Informations- und Kommunikationstechnik“ von Birgit Huber (Halle) erschienen:

"Nicht nur die „Actor-Network-Theory“ liefert innovative Theoretisierungen vor dem Hintergrund von Technikforschung. Auch aus der Internetforschung, die inzwischen zwar durchaus im Fach wahrgenommen wird, doch nach wie vor eher als exotisch gilt, kommt bereits seit einiger Zeit Entsprechendes. Von Anfang an nämlich musste sie aufgrund ihres spezifischen Gegenstandes die Frage nach der Konstruiertheit sozialer Wirklichkeit außerordentlich differenziert behandeln. Schließlich geht es in ihr um die Grenzen und Differenzen zwischen „virtuellem“ und „physikalischem“ Raum. Vor allem aus zwei Gründen ist eine klare Trennung zwischen beidem nicht nur fragwürdig, sondern unmöglich. Zum einen sitzt die „Virtual Reality“ („VR“) beziehungsweise der „virtuelle Raum“ immer auf technisch-materiellen Restriktionen und Möglichkeiten auf. Zum anderen sind das „Virtual Life“ und die sich dort ausbildenden Netze zwischen Nutzern in unterschiedlichsten Abstufungen mit Freundeskreisen oder Arbeitsnetzen im außermedialen Alltag (auch als „Real Life“ oder „RL“ bezeichnet) verknüpft. Diese Verknüpfungen unterscheiden sich ungemein, je nachdem, ob es sich um text- und bildbasierten Computerspielwelten bzw. Themenparks (Vortrag Katharina Kinder), um „open-source-communities“ zur gemeinsamen Produktion kostenloser Software, um netzbasierte translokal gestaltete Erwerbstätigkeit, um Dating-Plattformen für Singles oder um das gemeinsame Verfassen einer Online-Enyklopädie wie „Wikipedia“ (Vortrag von Anneke Wolf) handelt. Im Fall von „Wikipedia“ etwa wird ein ständig wachsender, globaler Personenkreis zu selbsttätigen Produzenten. Wie ausgereift dieses Forschungsfeld in der Europäischen Ethnologie/Empirischen Kulturwissenschaft/Kulturanthropologie/Volkskunde inzwischen ist – wenngleich (noch) recht dünn besiedelt -, demonstrierte das Kongresspanel „Online/Offline-Persistenz“. Bereits in dieser Formulierung ist die größte Leistung angesprochen, welche die europäisch-ethnologische Forschung auf dem Gebiet der „Virtualität“ erbracht hat und dementsprechend schon lange eine internationale Rezeption verdient hätte. Sie liefert das nach, was sowohl in den frühen, sehr populären Werken, die aus intensiver Nutzererfahrung herrühren (Sherry Turkle, Howard Rheingold) als auch in der Medienphilosophie und -soziologie (z. B. bei Manfred Fassler) fehlt. Die europäisch-ethnologische Internetforschung nämlich analysiert die alltägliche Produktion und Rezeption der vielfältigen Abstufungen zwischen „virtuell“ und „real“ durch verschiedene Nutzergruppen. Auf diese Weise kann sie einerseits „neue[r] Formen sozialer Vertrauensbildung und neuer kultureller Kompetenzen“ erfassen, „die angesichts technisch erzeugter Unsicherheiten Orientierung geben.“ (Klaus Schönberger). Andererseits zeigt die europäisch-ethnologische Internetforschung auf, wo und auf welche Weise etwa Techniken des Briefeschreibens oder der journalistischen Printproduktion online fortgesetzt werden, ohne dass es sich dabei um grundlegend unterschiedliche Nutzungsformen handelt. Dies verdeutlichte Panelmoderator Klaus Schönberger in einer beeindruckend umfassenden Zusammenschau. Als sehr anschaulicher Beitrag erwiesen sich die Überlegungen von Beatrice Tobler zur Tragweite von Graswurzelbewegungen im Internet am Beispiel von Weblogs. Die Ausführungen der Referentin gewannen nicht zuletzt durch ihre reflektierten Nutzungserfahrungen, die sie bereits vom Zeitpunkt der Mailboxen in den 1980er Jahren an gemacht hat. Ein sehr relevantes Thema griff Patrick Schmoll auf, der über zunehmend informatisierte Formen der Kriegsführung berichtete. Er zeigte die Grenzverschiebungen, die sich dabei an ganz unterschiedlichen Stellen (Medien, wirtschaftliche Beziehungen, Freund-Feind-Identifizierung, dem Frontverlauf) ergeben."

(aus: Huber, Birgit: Wohlstandsgefälle und „Integrationsgefälle“. Wenn das Fremde zunehmend zum Eigenen wird. Anmerkungen zum 35. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde „Grenzen und Differenzen. Zur Macht sozialer und kultureller Grenzziehungen“ in Dresden vom 25. bis 28. September 2005. In: Zeitschrift für Volkskunde 102 (2006) 2, S. 239-253, S. 249-251.

[Ein weiterer Bericht findet sich hier]

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