„Guantánamo in Germany“

Verhafteter Stadtsoziologe nach internationalem Druck vorläufig entlassen worden

Na wer sagt es denn. Manchmal bewirkt politischer Druck und Öffentlichkeit doch etwas. Wie soeben durch die Rechtsanwältin Christina Clemm mitgeteilt wurde, wurde der Ostberliner Stadtsoziologe Andrej H. heute um halb zwei aus der Untersuchungshaft entlassen worden.

Pressemittleilung:

"Der Haftbefehl wurde nicht aufgehoben, sondern der Ermittlungsrichter am BGH hat meinen Mandanten nach Zahlung einer Kaution und unter Auferlegung verschiedener Auflagen von der Untersuchungshaft verschont.

Dies bedeutet, dass nach Ansicht des Ermittlungsrichters der Fluchtgefahr mit weniger einschneidenden Mitteln als der Untersuchungshaft begegnet werden kann.

Die Bundesanwaltschaft hat mitgeteilt, dass sie gegen diese Entscheidung in Beschwerde gehen werde."


Letztlich zeigen sich diese Herrschaften nicht sonderlich lernfähig und darüber hinaus kann noch nicht wirklich zur Tagesordnung übergegangen werden. Denn es gibt noch weitere Verdächtige, die mit ähnlichen Begründungen wie Andrej H. gegenwärtig verfolgt werden.

Nochmals zum Hintergrund. Laut taz (22.8.2007) hat die Anwältin des Soziologen nach einem Bericht Einsicht in die Ermittlungsunterlagen nehmen können:

Clemm zufolge haben die Fahnder des BKA im Internet nach bestimmten Stichworten gesucht, die auch die "militante gruppe" in ihren Bekennerschreiben benutzt. Darunter seien Begriffe wie "Gentrification" oder "Prekarisierung". Da H. zu diesen Themen forsche, seien die Fahnder auf ihn aufmerksam geworden. "Das reichte für die Ermittlungsbehörden für eine fast einjährige Observation, für Videoüberwachung der Hauseingänge und Lauschangriff", so Clemm.

Die Tatsache, dass der Soziologe zu den Begriffen forschte, die für die Aufwertung oder Abwertung von Stadtvierteln benutzt werden, genügte offenbar den BKA-Beamten, um eine Verbindung zur "militanten Gruppe" herzustellen. "Das reichte für die Ermittlungsbehörden für eine fast einjährige Observation, für Videoüberwachung der Hauseingänge und Lauschangriff", erklärte die Anwältin Christina Clemm der taz.

Heute ist ausserdem ein Kommentar von Richard Sennett und Saskia Sassen auf der Meinungsseite der taz veröffentlicht worden.:

"Entsprechend sind auch die Kommentare US-amerikanischer Stadtforscher zu den Terrorismusvorwürfen in Deutschland. Die Soziologen Richard Sennett und Saskia Sassen sprechen von einem Vorgehen "nach Guantánamo-Art" (siehe Meinungsseite). Dutzende von Soziologen und Stadtforschern aus den USA haben sich inzwischen mit einem eigenen Brief an die Bundesanwaltschaft gewandt. Darin verwahren sich die Wissenschaftler "gegen den unglaublichen Vorwurf, die wissenschaftliche Tätigkeit und das politische Engagement sei als intellektuelle Mittäterschaft in einer angeblichen terroristischen Vereinigung zu bewerten"."
andreasreucher - 30. Aug, 23:47

Wenn der Tag lang ist,

das erweist sich sehr schön an den Ausführungen Sennetts, dann können auch internationale Alpha-Soziologen eine Menge dummes Zeug daherreden. Den deutschen intellektuellen Hysterikern dagegen ist es selbstverständlich eine klammheimliche Freude: endlich ein deutsches Guantanamo! Dann empört euch mal schön. Und behaltet die Risse im Holocaust-Denkmal im Blick.

kschoenberger - 1. Sep, 12:37

Alpha-Soziologie

Ich glaube, es handelt sich um ein Missverständnis. Der Vergleich nach "Guantánamo-Art" bezieht sich nicht auf die Haftbedingungen, sondern auf die Begründungen, mit denen die Inhaftierungen legitimiert wurden. Dass das hierzulande mitunter anders gelesen werden kann, mag zutreffen.

"Wie die Frankfurter Rundschau (31.8. 2007) in Erfahrung gebracht haben will, scheinen die Beweise gegen den Soziologen noch dünner zu sein, als bislang bekannt geworden war. Offenbar ist der Staatsschutz bei einer Internetsuche nach Material gegen die "mg" im letzten Jahr auf einen Artikel in der linken Zeitung Telegraph aus dem Jahr 1998 über Kosovo gestoßen. Geschrieben hatte ihn ein Politologe aus Leipzig, aber von diesem Artikel aus sei man dann auf die Spur von drei weiteren Wissenschaftlern und Publizisten gekommen, darunter auch auf Andrej H."

Noch mehr Informationen:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26099/1.html
http://www.jungle-world.com/seiten/2007/35/10509.php
http://www.tagesspiegel.de/politik/Deutschland-Andrej-H-Terrorismusverdacht;art122,2369413

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