Auf dem Kongress des Chaos Computer Club 24C3 gab es nicht nur eine per Dampfkraft betriebene Telex-Maschine, die RSS-Feeds ausdrucken kann, sondern auch einen aus kulturanthropologischer Sicht sehr interessanten Vortrag von Markus Beckedahl von netzpolitik.org. Der Vortrag mit dem Titel 23 Wege für Deine Rechte zu kämpfen ist nicht nur auf der ersten, inhaltlichen Ebene sehens-und hörenswert, interessant sind auch die vielen Nebenbemerkungen, z.B. über die digitale Kluft zwischen den Generationen. Ausserdem erklärt hier ein Experte anderen Experten Verhaltensweisen von und Umgehensweisen mit Laien.
War das bei Alben wie „Notausgang“, „Traurig aber wahr“, etc. nicht der Fall?
GD: In den frühen 1980ern war es insofern einfacher, weil man wirklich limitiert war auf sich und seinem Instrument. Heute ist man viel mehr den Verlockungen des Computers ausgesetzt. Wenn man die Gelegenheit hat, auf dem Computer irgendein Loop oder Sample zu nehmen, und sich daran voranhantelt, dann entsteht zwar aufs erste Hinhören etwas, das vielleicht oberflächlich gehört geil klingt, aber bei näherer Betrachtung die lebendige Substanz vermisst. Deswegen arbeite ich auch heute noch so, dass ich meine Gitarre, ein Heft zum Schreiben und einen DAT-Rekorder, aber keinesfalls einen Computer, nehme und mich irgendwo in Spanien zurückziehe, damit ich von niemanden erreicht werde.
Hat insofern das Lied „Zerschlagt die Computer“ für dich weiterhin Gültigkeit?
GD: “Zerschlagt die Computer“ habe ich aus einem anderen Grund geschrieben, und – erstens einmal – ist es eines jener Lieder für mich, die ich besser nicht geschrieben hätte, weil es letztendlich nur ein Rundumschlag ist. Aus damaliger Sicht war es ganz anders zu verstehen. Es ging um den gläsernen Menschen, um den Überwachungsstaat. Man weiß heute, dass Deutschland jenes Land innerhalb der EU mit der häufigsten Telephonüberwachung ist. Ich habe aber nichts gegen Heim-Computer, ich liebe meinen Apple, solange er funktioniert, wenn er mich in Stich lässt und verarscht, dann hasse ich ihn, aber das geht ja jedem so. Ich liebe auch das Internet, E-Mails zu schreiben und zu surfen; wenn ich bei Google einen Begriff eingebe – z.B. an welchem Tag Robespierre geköpft wurde und ich finde das innerhalb von zwei Minuten – das schätze ich schon sehr. Die weltweite Vernetzung kann eine enorme Hilfe sein, aber es täuscht mitunter auch. Wir sind zwar weltweit vernetzt, aber nicht mit Nahrung. In Russland verhungern Leute in ihren Häusern, und in anderen Ländern geht es Menschen noch ungleich schlechter, da hilft das ganze Internet nichts. Peter Ustinov sagte kürzlich: "Terror ist der Krieg der Armen, Krieg ist der Terror der Reichen." Das ist ein sehr weiser Satz.
Ich persönlich verfolge seit einiger Zeit das Verfahren zur Erneuerung des Telekommunikationsüberwachungsgesetzes (im Volksmund unter dem Schlagwort "Vorratsdatenspeicherung" geläufig), über das Ende nächster Woche im Bundestag entschieden wird.
Völlig überraschend (für mich) erschien nun dieses Wochenende der doch eher konservative oberbayrische Donaukurier und seine lokalen Ableger mit geschwärzter Titelseite und einer Auffoderung an die Bevölkerung direkten Widerstand zu leisten (!). (Online-Ausgabe des Artikels hier)
Update: Die Süddeutsche berichtet derweil von einer Verschiebung der Entscheidung:
"Das ist kein Kulturpessimismus" behauptet FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher über seine Dankesrede für den Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache 2007. Die Süddeutsche Zeitung (29.10. 2007) hat uns dieselbe via Internet hinterlassen.
"Die erste Generation, die seit ihrer Geburt vom Internet geprägt wurde, macht demnächst Abitur. Gleichzeitig steigt der Anteil an jungen Menschen, die bekennen, gar nicht mehr zu lesen, dramatisch an. Und man wende nicht ein, dass der Mensch auf den Vorgang des Lesens nicht verzichten kann. Das Gegenteil ist der Fall. Das Netz ist auch ein Medium, das in steigendem Maße Nicht- oder Fastnichtmehrlesen ermöglicht, und wer das nicht glaubt, schaue sich die Verfilmung von Archiven bis zu Gebrauchsanweisungen auf Youtube an. Jetzt aber verändern sich die Gehirne. In welchem Ausmaß das geschieht, ist selbst der Forschung noch nicht klar: Fest steht, dass der ikonographische Extremismus, dem die Jungen und Jüngsten im Internet ausgesetzt sind, wie eine Körperverletzung wirkt.
[…]
Die Sprache dieser ersten Internetgeneration ist beängstigend roh, sie kommt aus den Bildern und handelt von den Praktiken, die diese Protagonisten in irgendwelchen Nischen gesehen haben. Bilder, die jeder, der sie gesehen hat, nie wieder vergessen kann, es sei denn um den Preis vollständiger Abstumpfung. Wir riskieren, die wenigen Kinder, die unsere Gesellschaft in Zeiten des demographischen Wandels hat, mit seelischem Extremismus zu programmieren - wenn wir nicht bald eine Debatte über pornographische und kriminelle Inhalte im Internet beginnen. Und wer die Infektionsausbreitung verfolgen will, braucht nur zu zählen, wie viele Tote neuerdings auch in Nachrichtensendungen oder Illustrierten gezeigt werden."
Kurzes polemisches Nachtreten: Zu wie vielen Toten hat eigentlich die FAZ beigetragen, als sie 1999 die Deutschen in den Krieg mit Serbien hinein(t)(sch)rieb? So mal vom gewaltheischenden Internet zur friedliebenden Zeitung gefragt.
Eine popkulturelle Antwort auf den zunehmenden Einfluss der Anhänger des sogenannten "Intelligent Design" bieten uns die New York Dolls:
Der Text zum Mitlesen:
"Your design's so intelligent
Ain't no way that was an accident
Come on shake your monkey hips
My pretty little creationist
Oh yeah
Ain't gonna anthropomorphize ya
Or perversely polymorphosize ya
Oh yeah
Little girl you look so sweet
(you got hips like a monkey, hips like a monkey)
You just started ten thousand years ago
Presto, Adam and Eve, but go man go
Abel died, Cain took his life
And headed straight for the jungle to find a wife.
(Wow)
Nonbelievers running out on apes
This monkey time I want to see you shake
Evolution is obsolete
(you gotta dance like a monkey, dance like a monkey, child)
Stomp your hands and clap your feet
(you gotta dance like a monkey, dance like a monkey, child)
Oh one more time, yo
It's monkey time!
Come on pretty baby won't you take a chance
Be my natural selection, dance dance dance
Exorcise your demons with that monkey friend
Because we're gonna inherit the wind
Let them fight it out in the Supreme Court
That's such a mad lame indoor sport
Wave your arms and legs in the air
Rock it like a monkey, like you just don't care
Evolution is so obsolete
Gotta stomp your hands and clap your feet
(you gotta dance like a monkey, dance like a monkey
you gotta dance like a monkey, dance like a monkey...)!"
Während des 3. Frankfurter Onlinejournalistentag beim Hessischen Rundfunk wurde Peter Glaser aus dem Publikum gefragt, ob er - trotz seiner kritischen Anmerkungen zu Second Life - mit denen er im übrigen auch ein bisschen den ressentimentgeladener Nerd ("Seniorenteller") spielte - nicht auch positive Erfahrungen in diesem zweiten Leben gemacht habe, sprich ob er nicht auch "gehaltvolle Unterhaltungen" geführt habe:
"Ich unterhalte mich ungern, ich will meine Ruhe haben."
Auch eine Antwort zu diesem Unfug, es hätten alle nichts anderes zu tun, als sich in das sogenannte Mitmach-Internet zu stürzen.
Zum Auftakt des neuen Jahres 2007 etwas vergnüglicheres ...
Auf dem vergangenen CCC-Kongress wurde folgender Song in Anlehnung an den schon häufig paraodierten Song YMCA von den The Village People von der Wiener Künstlercombo monochrom geschrieben und uraufgeführt.
[Monchrom hat uns bereits den schönen Song zum Ende des Overheadprojektors geliefert.]
Wenn auch gegen Ende die AgitProp-Attitude Überhand gewinnt, was man nicht unbedingt benötigt hätte, ist das dennoch eine andere, kreative Art zum Umgang mit neuen Technologien ...
Users, there's trouble ahead
I said users, it is totally sad
But users, the future lies in your hand
Cause it's all about surveillance
Comrades, you don't know what I mean?
Well comrades, there's new tech on the scene
Come on comrades, stand up fight for your right
There's a need for your experience
It's fun to hack the RFID
It's fun to hack the RFID
Technology is just a matter of choice
You can microwave all their toys
It's fun to hack the RFID
It's fun to hack the RFID
They want to store everything about you
But there's plenty of things you can do
Ownage, it's the way to resist,
I said ownage, let's call it "digital fist"
Ownage, there's not much time left
For civil disobedience
Awesome, there's a lot we can share
Awesome, let's destroy the nightmare
I said awesome, a million lines of code
We just need the right compiler
It's fun to hack the RFID
It's fun to hack the RFID
They use it in passports and cellphones you buy
but fuck it, it's all a lie
RFID, you'll find it at the supermarket
No folks, zap them all by yourself
Put your pride on the shelf
Hack it, fuck it, hack it, fuck it
Hack it, fuck it, hack it, fuck it
"Written and first performed at 23C3 (23rd Chaos Communication Congress) in December 2006 in Berlin as part of monochrom's 'Proto-Melodic Comment Squad'.
There is a video of the first nocturnal presentation at 23C3 (let's call it "first rehearsal"), a short (asynchronous) cam phone movie, a clip by Fumi TV and a recording by the Chaos TV team. If you know about any other tapings, please send us the links. We performed the song a couple of times. Thanks.
Und hier gibt's noch weitere Kostproben in Sachen Aneignung Populärer Kultur - Sehr schön auch die die monochrom-Version von Koksnase Reinhard Fendrichs "Ich bin ein Negerant":
Sie haben Win XP, Madame.
Da sag ich gleich "Oje!", Madame.
Ihr Rechner wird geowned, Madame.
Sie werden nicht verschont, Madame.
Setzen's ein Ubuntu auf.
Und treten dann Problemchen auf.
-- Nehmen's das in Kauf.
Beispiele populärer Kultur über das WebZweiNull-Phänomen liefern "You Tübe" und My Space (selbst wiederum WebZweiNull-Anwendungen).
"Bought it on ebay" (von Weird Al vom "Poodle Hat"-Album):
This is The eBAY Song, first seen on
A used ... pink bathrobe
A rare ... mint snowglobe
A Smurf ... TV tray
I bought on eBay
My house ... is filled with this crap
Shows up in bubble wrap
Most every day
What I bought on eBay
Tell me why (I need another pet rock)
Tell me why (I got that Alf alarm clock)
Tell me why (I bid on Shatner's old toupee)
They had it on eBay
I'll buy ... your knick-knack
Just check ... my feedback
"A++!" they all say
They love me on eBay
Gonna buy (a slightly-damaged golf bag)
Gonna buy (some Beanie Babies, new with tag)
(From some guy) I've never met in Norway
Found him on eBay
I am the type who is liable to snipe you
With two seconds left to go, whoa
Got Paypal or Visa, what ever'll please
As long as I've got the dough
I'll buy ... your tchotchkes
Sell me ... your watch, please
I'll buy (I'll buy, I'll buy, I'll buy ...)
I'm highest bidder now
(Junk keeps arriving in the mail)
(From that worldwide garage sale) (Dukes Of Hazzard ashtray)
(Hey! A Dukes Of Hazzard ashtray)
Oh yeah ... (I bought it on eBay)
Wanna buy (a PacMan Fever lunchbox)
Wanna buy (a case of vintage tube socks)
Wanna buy (a Kleenex used by Dr. Dre, Dr. Dre)
(Found it on eBay)
Wanna buy (that Farrah Fawcett poster)
(Pez dispensers and a toaster)
(Don't know why ... the kind of stuff you'd throw away)
(I'll buy on eBay)
Ulrike Baureithel portraitiert anlässlich des im Freburger Herder-Verlage erschienenen Bandes (Joseph Weizenbaum und Gunna Wendt) "Wo sind sie, die Inseln der Vernunft im Cyberstrom?" in der Schweizer WOZ (2.11. 2006) den Computerpionier, Technologiekritiker und ehemaligen Flüchtling aus Berlin:
"«Der Mensch ist der Fehler!» Brechts Stossseufzer aus den dreissiger Jahren könnte als Kommentar zu all jenen WissenschaftspionierInnen stehen, die Jahrzehnte später unter dem Stichwort «der Schlüssel zum Code» ein gemeinsames Projekt vorantrieben: Während sich die Cracks der Informationstechnologie darum bemühten, die menschliche Intelligenz nachzubauen, versuchten die MolekularbiologInnen, das «Buch des Lebens» zu entziffern. Der Schlüsselbegriff beider Disziplinen, «Code», stammte aus der Militärspionage. Der britische Mathematiker Alan Turing hatte im Zweiten Weltkrieg das deutsche Chiffriersystem Enigma entschlüsselt; der Deutsche Konrad Zuse entwickelte 1938 den ersten Computer, was - glücklicherweise - von den Nationalsozialisten und der Wehrmacht damals nicht gewürdigt und gefördert wurde."
Gerrit Herlyn
Deutungsmuster und Erzählstrategien bei der Bewältigung beruflicher Krisenerfahrungen In: Seifert, Manfred/Götz, Irene/Huber, Birgit (Hg.): Flexible Biographien. Horizonte und Brüche im Arbeitsleben der Gegenwart. Frankfurt u. a. 2007, S. 167-184.