FAZ über Volkskundekongress: "Mehr Kritik. Wie die Volkskunde mit den Medien umgehen sollte" (17)

Die Zeitung, hinter der bekanntlich immer ein kluger Kopf zu sitzen scheint, hat sich heute des am Mittwoch zu Ende gegangenen 36. Volkskundekongresses in Mainz angenommen. Der bekennende Donaldist Andreas Platthaus (für VolkskundlerInnen immerhin interessant, das man sagt, die Donaldisten hätten das FAZ-Feuilleton "unterwandert" - und es dürfte wohl diesem Umstand zu verdanken sein, dass die FAZ inzwischen eine von Platthaus zu verantwortende "Klassiker der Comic-Literatur"-Edition herausgibt) hatte auch die Podiumsabschlussdiskussion moderiert.
Platthaus In der FAZ (28.9. 2007) lesen wir:

"Zweiunddreißig Jahre brauchte es, ehe die Deutsche Gesellschaft für Volkskunde, die ihren zwanzigsten Kongress 1975 unter das Motto "Direkte Kommunikation und Massenkommunikation" und damit erstmals die Medien in den Mittelpunkt gestellt hatte, sich entschied, das Thema erneut anzugehen. Allerdings unter anderem Titel und entsprechend anderen Vorzeichen: (....) nur der Untertitel verriet, dass der Anspruch ein anderer war, als Medien bloß zu beschreiben. Vielmehr sollte deren Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Phänomen erforscht werden. Als eines davon erwies sich plötzlich die kulturwissenschaftliche Volkskunde selbst."

Im Mittelpunkt des FAZ-Artikels steht der Plenarvortrag von Kaspar Maase.

"Maase beklagte, dass dadurch die letzten Reste einer an Adorno geschulten Kulturkritik und das Erbe der Achtundsechziger in seinem Fach beseitigt seien. Vorträge, die sich dem Boom zeitgeschichtlicher Themen in Filmen wie 'Dresden' und 'Sturmflut* widmeten oder den Bemühungen von Sendern und Städten, die Drehorte populärer Serien zu vermarkten, bestätigten die Sorgen von Maase insofern, als bei der Analyse die Intentionen der Sender zurücktraten hinter die Faszination der Zuschauer. Das war verblüffend, weil viele Panels und Sektionen die kommerziellen Absichten bei der Herausbildung von kulturwissenschaftlichen Phänomen in den Mittelpunkt stellten. Speziell gegenüber dem Fernsehen aber beschränkte man sich auf eine Wirkungsforschung, die Maases Formulierung ' Heute interessiert uns nur, was Menschen mit Medien machen, nicht mehr umgekehrt' bestätigte."

Das Problem dürfte doch in den jeweiligen Vereinseitigungen bestehen. Ein Defizit des Faches besteht schließlich gerade darin, keine Methodik aufzuweisen (bzw. Stuart Halls Encoding-Decoding-Modell nicht weiterentwickelt zu haben), die in der Lage wäre, diese beide Perspektiven zusammen zu denken, und über die banale Diagnose von "Wechselwirkungen" hinaus zu kommen.

"Die Untersuchung der Medialität des Alltags, die der Kongress sich vorgenommen hatte, musste dadurch in Maases Augen einseitig bleiben. Aufrufe zur Kritik an oder gar zum Widerstand gegen die bestehende Medienlandschaft, so Maase, seien ohne Resonanz geblieben. In einer Disziplin, die, wie der Berliner Ethnologe (sic!) Wolfgang Kaschuba ausführte, ein rundes Drittel ihrer Absolventen im Mediensektor unterkommen sieht, ist wohl kaum zu erwarten, dass man diese Branche hart angeht."

Vermutlich sagt Platthaus etwas Richtiges, bloß mit der falschen Begründung. Die Tatsache, dass es in unseren Fächern inzwischen etwas unkritischer hergeht, hat aber sehr viel mehr mit einem gesamtgesellschaftlichen Klimawandel und mit der Unfähigkeit (oder sagen wir lieber dem Unwillen) - im Vergleich mit den Soziologen und Historikern zu tun so etwas wie eine sozialwissenschaftliche Basierung des Studiums vorzunehmen sowie der generellen Tendenz einer "Kulturalisierung des Sozialen". Dabei erscheint mir eine unkritische Haltung gegenüber Medien noch das geringere Problem.

"Maase sieht die Ursache in der Angst seiner Kollegen vor unerwünschter intellektueller Nachbarschaft zu fundamentalistischen Einstellungen oder zu 'Kulturpäpsten', denen man elitäres Denken unterstelle. Stattdessen betreibe man lieber 'Adorno-Bashing' und habe die auf die Frankfurter Schule zurückgehende Kulturkritik als 'identätsstiftenden Pappkameraden' schätzen gelernt. Dadurch sei das Fach als Ganzes auf die Kulturkämpfe von gestern fixiert und komme über die habituelle Unterstützung des 'Low' gegenüber dem 'High' nicht mehr hinaus."

Es wäre hierzu einiges anzumerken. Aber es ist vielleicht doch bezeichnend, dass es das FAZ-Feuilleton ist (wenn der Artikel auch auf der Medien-Seite veröffentlicht wurde und inzwischen auch die populäre Kultur sich einen Platz erkämpfen konnte, s.o. - die ideologischen Verhältnisse sind eben unübersichtlicher geworden), in dem die Forderung nach Kulturkritik wieder erhoben wird. In welcher Weise aber Kulturkritik nach wie vor und entgegen Kaspar Maases Feststellung artikuliert wird, wurde in der Sektion "ProdUser" ausführlich analysiert. Es ist eben nicht so, dass die populäre und insbesondere die populare Kultur inzwischen allgemein akzeptiert ist, wie der Blick auf das Internet (Wikipedia!) veranschaulichen würde. Insofern steht die Kritik der Kulturkritik nach wie vor auf der Tagesordnung und ist eben auch weit mehr als "Adorno-Bashing".

Dann wäre auch noch etwas zur vermeintlichen Abhilfe anzumerken:

"Den Sendern, folgert Maase, dürfe nicht jede Form von Populismus zugestanden werden, man müsse die soziologisch erwiesenen Zusammenhänge zwischen Mediennutzung und sozialen Defiziten zum Anlass nehmen, Zusammenhänge zu beschreiben, so dass man deren bloße Feststellung hinaus käme und Abhilfe schaffen könne."

Hier muss nun doch widersprochen werden. Soziologisch ist gar nichts erwiesen. Wenn Kriminologen wie Pfeiffer einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Medienkonsum und Schul(miss)erfolg behaupten, dann ist doch allemal unklar, ob das die entscheidende Ursache ist. Soziale Benachteiligung entsteht nicht durch zuviel Fernsehen und ist schon gar nicht mit einem Weniger an Fernsehen anzugehen. Es ist diese falsche Gesellschafts- und Kulturkritik, der wir unsere fachliche Expertise entgegenhalten können.
Und es ist eben ein mindestens genauso wichtiges Thema der volkskundlich-kulturwissenschaftlichen Medienforschung, die Diskurse und die Kulturkritik selbst zu analysieren. Und eine wirklich kritisches Position besteht darin, den Gewalt- und Defizit-Diskurs im Kontext einer umfassenden Gesellschafskritik zu kritisieren. Gewalt in den Medien ist eben nur ein Problem. Vielmehr ist zu fragen, warum die, die Bomben auf Belgrad werfen, warum diejenigen und die Gewalt zur Lösung von Konflikten progagieren, ein solches Interesse an der zurückgehenden Jugendgewalt und ihrer angeblichen Ursache im Konsum von Brutalo-Filmen oder Ballerspielen haben. Es geht dabei überhaupt nie um die der gesellschaftlichen Gewalt zugrunde liegenden Konzepte von Männlichkeit oder der durch und durch gewaltförmigen (staatlichen wie zivilgesellschaftlichen) Regelung von Konflikten (was ist das für eine friedliche Zivilgesellschaft die Hunderte von toten Flüchtlingen an den abgeschotteten EU-Grenzen als Kollateralschaden in Kauf nimmt?). Den Finger in diese Wunde zu legen, genau hier wäre das kritische Potenzial einer volkskundlichen Medienwissenschaft zu entfalten. Aber das ist natürlich nicht die Kritik, die die Medien von uns hören möchten.
Platthaus
In diesem Zusammenhang ist nochmals auf das Thema der Podiumsdiskussion einzugehen. Kurz zuvor konnten die KongressteilnehmerInnen in der Sektion "Medien – Öffentlichkeit – Geschlecht" einen bemerkenswerten Vortrag erleben. Almut Sülzle (Marburg) sprach nämlich in "Die Girlisierung des Fußballs ist misslungen" über Ihre Erfahrungen mit den Medien als Expertin über weiblich Fußballfans im Kontext der WM-Berichterstattung 2006. In beeindruckender Weise zeigte sie - was Wolfgang Kaschuba als "Ich verstehe, Sie brauchen O-Ton" bezeichnet hatte - in welcher Weise JournalistInnen versuchen, volkskundlich-kulturwissenschaftliches Wissen zu ver-nutzen, um ihren unerträglichen Arbeitsbedingungen zu entkommen. Selten wurde gezeigt, in welcher Weise der Diskurs sich der Wissenschaft bedienen möchte bzw. die Produktionsbedingungen die kritischen Inhalte letztlich in ihr Gegenteil zu verkehren wissen.

Dass ein immer größerer Teil von JournalistInnen eine solide akademische Ausbildung nach 1989 nicht mehr aufweisen kann und unfähig ist soziale Strukturen und kulturelle Kontexte zu unterscheiden bzw. überhaupt zu identifizieren, dürfte eine weitere Ursache hierfür sein. Wenn in unserem Fache Studierende sogleich ins Feld geschickt werden, ohne sie mit der narzisstischen Kränkung zu konfrontieren, dass ihre unmittelbare eigene Privat-Anschauung nichts mit Wissenschaft zu tun hat, dann liegt auch hier der Hund begraben. Und da wäre dann doch an Wolfgang Brückner zu erinnern, der zurecht feststellte, dass solides in unserem Fach immer dann zustande kam, wenn die RepräsentantInnen zugleich einer weitere Ausbildung in Fächern wie Geschichte oder Sprachwissenschaften aufweisen können.

Mit einem hatte Platthaus aber durchaus recht:

"Maases Thesen wurden im Plenum nicht diskutiert. Dem um das eigene Profil besorgte Fach hätten sie aber Möglichkeiten aufzeigen können, wie man sich an öffentlich sensibler und stark beachteter Stelle profiliert. Dabei wird die Volkskunde auf Kritik nicht verzichten können."

Es ist durchaus bemerkenswert, wie wenig während dem Kongress insgesamt diskutiert wurde. Nicht nur Kaspar Maases Vortrag, auch Manfred Faßlers Eröffnungsvortrag wurden nur auf den Gängen oder in den Blogs (kontrovers) diskutiert. Teilweise bezogen sich einzelne ReferentInnen auf die im Plenum vorgetragenen Thesen. Mitunter war es sogar verpönt harsche Kritik zu äußern, wenn wie in der Ratgeber-Sektion "Medienwirklichkeit und Lebenswirklichkeit. Gesundheit und Wohlergehen zwischen medialer Konstruktion und Alltagspraxis" (Panel 1) grundsätzliche Einwände erhoben wurden.

Den FAZ-Artikel für 2,00 EUR 24 Stunden anschauen

PS. Hier in diesem Blog darf diskutiert werden. Einfach und ohne großen Aufwand einen Account bei twoday.net besorgen und schon kann man "kommentieren" oder eigene Beiträge verfassen ..


Photos: http://gallery.bilder-buecher-bytes.de/
Joern Borchert - 30. Sep, 01:27

Maul halten

"Es ist durchaus bemerkenswert, wie wenig während dem Kongress insgesamt diskutiert wurde. Nicht nur Kaspar Maases Vortrag, auch Manfred Faßlers Eröffnungsvortrag wurden nur auf den Gängen oder in den Blogs (kontrovers) diskutiert. (...) Mitunter war es sogar verpönt harsche Kritik zu äußern, wenn wie in der Ratgeber-Sektion "Medienwirklichkeit und Lebenswirklichkeit. Gesundheit und Wohlergehen zwischen medialer Konstruktion und Alltagspraxis" (Panel 1) grundsätzliche Einwände erhoben wurden."

Das ist in der Tat bemerkenswert, wenn auch nicht verwunderlich. Vielleicht sollte einer der nächsten DGV-Kongresse einmal darum kreisen, wie sich Menschen in Krisensituationen verhalten. Beispiel: Wer exponiert sich heute schon noch mit einer eigenen Meinung, wenn diese eventuell nicht der Meinung potentieller Arbeitgeber entsprechen könnte. In der Realität des kulturellen Arbeitsmarktes ist nicht Diskussion angesagt, sondern das Gegenteil: Die Vermeidung und Umgehung von Diskussionen. Oder kennen Sie einen Auftraggeber/Arbeitsgeber, der an Diskussionen interessiert ist? Wenn doch, dann würde ich diesen gerne einmal kennen lernen.

Jörn Borchert
http://joernborchert.twoday.net

kschoenberger - 30. Sep, 20:25

Maulaffen feilbieten oder Maul halten?

Na ja, verwundern tut's natürlich nicht. Opporturnismus und Angst vor der eigenen Courage hat es schon immer gegeben, insbesondere in akademischen Kontexten. Insofern erscheint mir diese Erklärung als nicht hinreichend. Mein Verdacht ist ein anderer, schwerwiegenderer (jedenfalls in meinen Augen). Zum einen weil es immer weniger gibt, die inhaltlich etwas wollen oder eine klare Position vertreten. Zum anderen, aber damit zusammenhängend, weil es auch immer weniger Wissen um kontroverse Inhalte gibt.
Insofern glaube ich eher an die Version "Maulaffen feilbieten" denn an "Maul halten" (das setzt nämlich das Wissen um eine Kontroverse voraus, und da bin ich skeptisch, wenn letzteres sicherlich mitunter auch zutreffen dürfte.

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Deutungsmuster und Erzählstrategien bei der Bewältigung beruflicher Krisenerfahrungen In: Seifert, Manfred/Götz, Irene/Huber, Birgit (Hg.): Flexible Biographien. Horizonte und Brüche im Arbeitsleben der Gegenwart. Frankfurt u. a. 2007, S. 167-184.








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