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Süddeutsche über "infam niedrige Besoldungsklasse"

Was gesagt gehört, muss man mal sagen. In der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung (08.02. 2008), weist Malte Dahlgrün auf die infam niedrige Besoldungklasse W hin, die dazu führt, dass Schullehrer mehr verdienen als Universitätsprofessoren. Soweit so gut und so richtig. Und mit der Exezellenz hat das alles gar nichts zu tun. Aber das ist ja politisch so gewollt.

Mindestens genauso infam und ungeheuerlich ist der gegemwärtige Umgang mit prekär beschäftigten WissenschaftlerInnen im Rahmen von TVL-Zeitverträgen.

Was passiert gegenwärtig?
Die Universitäten versuchen bei der Einstellung des wissenschaftlichen Personals erfahrene und qualifizierte wissenschaftliche MitarbeiterInnen auf ein Lohnniveau zu drücken, dass noch ungeheuerlicher als das W1 oder W2-Niveau der ProfessorInnen ist.

Dass man mit Angestellten ohne Macht und Lobby nicht sehr pfleglich umzugehen gewillt ist, wissen wir schon von den Ärzten unterhalb der Oberarzt-Position in den Kliniken.

Und was nun passiert ist schlichtweg eine ähnliche Katastrophe. Noch nicht ganz klar ist, inwieweit das am durch Verdi ausgehandelten Tarifvertrag TVL liegt, oder inwiefern hier die Universitätspersonalabteilungen ihre jeweils eigenen Auslegungsversuche unternehmen.

Der Hintergrund ist der, dass jede(r) der/die nicht kontinuierlich an einer Uni oder ähnlichen Institution angestellt ist (was bei Zeitverträgen eben die Regel ist), bei jedem neuen Vertrag jeweils als Berufsanfänger auf TVL-1 zurückgestuft wird. Dass heisst, dass der Doktorand ohne Berufserfahrung gleichgestellt wird, mit dem habilitierten Wissenschaftler.

Die Art und Weise, wie WissenschaftlerInnen bei der Einstufung dann auch noch von einzelnen verbeamteten KollegInnen in Personalabteilungen deutscher Universitäten behandelt oder sagen wir besser misshandelt werden, ist gleichermaßen schaurig. Da wird auch unsereins gelegentlich von Privatisierungsphantasien heimgesucht .

Und wenn dann auch noch Personalräte wie an der Hamburger Uni eine Personalpolitik betreiben, die solch lebensfernen Regeln gehorchen wie das Promovierte nur noch angestellt werden dürfen, wenn sie auf ganze Stellen gehen, selbst wenn sie das gar nicht können (Familie!) oder wollen, dann müsste doch dem Letzten klar werden, dass ihm niemand hilft, außer wenn er sich selbst bewegt.

Es ist wahrscheinlich eine Illusion, dass es gelingen kann, überaus prekäre WissenschaftlerInnen und verbeamteten ProfessorInnen (die ihre Möglichkeiten - von löblichen Ausnahmen abgesehen - bei weitem nie ausnutzen) zu einer gemeinsamen Verabredung zu gewinnen, aber die Hoffnung stirbt zuletzt ... Verlassen sollte man sich darauf allerdings nicht.

Und erst wenn man sich selbst organisiert, wird man auch ernst genommen ...
 

Prekarisierung von Wissenschaft und wissenschaftlichen Arbeitsverhältnissen

Freitag, 11.01.2008, 16:00 Uhr bis Samstag, 12.01.2008, 17:00 Uhr

Ort: Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Leipzig
Flyer als PDF

Arbeitstagung des Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi), in Kooperation mit

BFW - Bildungs- und Förderungswerk der GEW
FIB - Forschungs- und Informationsstelle beim BdWi
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)
Rosa-Luxemburg-Stiftung
Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen
StudentInnenRat der Universität Leipzig
Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)

Seit Ende der 70er Jahre, spätestens jedoch seit der 3. HRG-Novelle und dem so genannten Zeitvertragsgesetz (1985) wird die strukturelle Unterfinanzierung der Hochschule in Lehre und Forschung überwiegend durch eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen des wissenschaftlichen. Mittelbaus aufgefangen.
In letzter Zeit häufen sich Meldungen, die auf die Phänomene eines neuartigen „akademischen Proletariats“ hinweisen, wodurch die bisherigen Verschlechterungen nicht nur graduell fortgesetzt werden, sondern möglicherweise eine neue Qualität in der Entwicklung des sich zwischen Massenbetrieb und „Exzellenzzentren“ polarisierenden deutschen Hochschulsystems angezeigt ist.

Zunahme atypischer Beschäftigung

Als gesichert gilt, dass die Zahl der „irregulären“ wissenschaftlichen Beschäftigten relativ und absolut (vorrangig, wenn auch nicht ausschließlich, Lehrbeauftragte sowie Privatdozentinnen und Privatdozenten) wächst und dass diese immer mehr zu einer Stütze des regulären Lehrangebotes werden: an manchen Fachbereichen betrifft dies bis zu 50 Prozent der Pflichtveranstaltungen. Ursprünglich sollten Lehraufträge eine Ergänzung der Studienangebote durch Menschen aus der (normalbeschäftigten) Berufspraxis – und damit eine willkommene Form des Austausches zwischen Hochschule und Gesellschaft – sein. Mittlerweile wächst der relative Anteil derjenigen, die von Lehraufträgen (im Schnitt: 300 Euro pro Semester) und anderen Honorartätigkeiten „hauptberuflich“ leben. Die Ausbildung des so genannten wissenschaftlichen Nachwuchses realisiert sich immer weniger über reguläre Beschäftigung-verhältnisse. In der Forschung läuft kaum noch etwas ohne Drittmittel, wobei die Vertragsbedingungen (Dauer, Arbeitsumfang) sich ständig verschlechtern.

Der allgemeine Trend der Deregulierung von Arbeitsverhältnissen („Arbeitskraftunternehmer“) nimmt im Wissenschaftsbetrieb offenbar spezifische Formen der Herausbildung einer neuartigen Schicht hochqualifizierter, gering entlohnter schein-selbstständiger Wissensarbeiterinnen und -arbeiter an. Allerdings erfolgt dies auch nicht gleichmäßig, sondern die Probleme sind in den einzelnen Fachgebieten sehr unterschiedlich ausgeprägt.

Bestandsaufnahme und Widerstand

Ziel der Tagung ist es erstens, diese Problematik im Sinne einer Bestandaufnahme präziser zu erfassen und öffentlich sichtbarer zu machen. Zweitens geht es um die Diskussion von Widerstands- und Reformperspektiven im Sinne der (von verschiedenen historischen Mittelbaubewegungen formulierten) Zielsetzung "Aufgabengerechte Personalstruktur – was heißt das heute?". Schließlich sollen drittens die Auswirkungen einer Deregulierung akademischer Arbeitsverhältnisse auf wissenschaftliche Denk- und Verhaltensweisen diskutiert werden

Programm hier einsehen


Anmeldung/Organisation

Zeit: 11./12. Januar 2008
Ort: Universität Leipzig

Kosten:
Für die Tagung wird ein Kostenbeitrag von 10,- Euro (5,- Euro) erhoben.

Unterkunft:
Auf ausdrücklichen Wunsch vermitteln wir sehr einfache Übernachtungsmöglichkeiten (Turnhalle).

Tagungsort:
Hauptgebäude der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig (unmittelbar an der Einmündung Marschnerstraße/Jahnallee).

Wir bitten um verbindliche Anmeldung!

Teilnahmegebühr in Höhe von10,- Euro (5,- Euro) bitte überweisen an:
BdWi
Konto 16 408 808
Volksbank Mittelhessen
BLZ 513 900 00
Stichwort: Prekär-Tagung

Anmeldung bitte an:
BdWi, Gisselberger Str. 7, 35037 Marburg
bdwi@bdwi.de
Tel.: 06421 21395, Fax: 06421 24654

Oder hier per Online-Formular
(nach unten scrollen)
 

Interview mit Andrej Holm und terror-isierende DNA-Proben

Wer dachte das das Verfahren gegen Andrej Holm nach der Aufhebung des Haftbefehls und der BHG-Entscheidung, dass es bei dem dazugehörenden Ermittlungsdelikt nicht um eine terroristische Vereinigung handelt, nun vorbei sei, irrt sich. Bei Annalist erfahren wir, dass der Terror gegen den Berliner Stadtsoziologen Andrej Holm und seine Familie weitergeht:

"Fantastisch. Der Herr Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof hat der Entnahme einer DNA-Probe von Andrej zugestimmt. Also, um genau zu sein, der "Entnahme von Körperzellen im Wege einer Blutprobe des Beschuldigten". "Die zwangsweise Entnahme einer Blutprobe kann durch die freiwillige Abgabe einer Speichelprobe abgewendet werden." Wie reizend.

Warum die dabei behilflich sein soll, rauszukriegen, ob jemand bestimmte Texte geschrieben hat, erschliesst sich mir nicht so recht. Aber der Herr Ermittlungsrichter findet, dass "trotz des geringen Tatverdachts (...) die Maßnahme in Anbetracht des Gewichts des Tatvorwurfs auch verhältnismäßig" sei. Aha.

Es fragen gerade viele Leute, die die juristischen Details nicht so verfolgen und die nicht so akribisch Zeitung lesen wie wir, ob jetzt das Verfahren gegen Andrej eigentlich beendet sei. Weit entfernt, würde ich sagen. Es wird jetzt anstatt wegen Bildung einer terroristischen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt - das einzige, was es nicht mehr gibt, ist der Haftbefehl. Das war natürlich ein großer Schritt vorwärts, aber mitnichten schon die Einstellung des Verfahrens. Es wird weiter ermittelt und wird dann auch zu einem Prozess deswegen kommen, wenn nicht doch noch jemand denkt, dass die Einstellung hier die klügere Variante wäre. "


[Hat das eigentlich wieder dieser Ermittlungsrichter Ulrich Hebenstreit aus Ludwigsburg unterzeichnet?]

Und dann - gibt es da noch ein Interview mit Andrej Holm, das sich im Abendschau-Blog anschauen lässt, in dem er beschreibt welche persönlichen Auswirkungen das Ganze gehabt hat und wie sich das auf seine wissenschaftliche Arbeit auswirkt.
 

Urheberrechtsnovelle - Jetzt noch Nutzungsrechte sichern

Date: 12.12.2007
Subject: Forum:

Von Klaus Graf, RWTH Aachen
E-Mail:

Ein besonderes "Dezemberfieber" hat Teile der deutschen Wissenschaft befallen. Open-Access-Anhänger bangen: Wieviele Wissenschaftler werden sich bis zum Jahresende motivieren lassen, dem für sie zuständigen Open-Access-Schriftenserver einfache Nutzungsrechte ihrer älteren, vor 1995 erschienenen Fachpublikationen einzuräumen? Reicht das womöglich für eine deutsche Mini-Ausgabe "Cream of Science"? Cream of Science ist ja das einzigartige Open-Access-Projekt unserer niederländischen Nachbarn, die es geschafft haben, etwa 60 Prozent der über 48.000 wissenschaftlichen Publikationen der Forscher-Elite, nämlich von 229 prominenten Hochschullehrern, kostenfrei im Repositorien-Verbund DAREnet bereit zu stellen.[1]

Über die Urheberrechtsänderung zum 1. Januar 2008 und die Empfehlung der DFG und vieler Universitäten, unbedingt die im kommenden § 137 l Urheberrechtsgesetz vorgesehene Jahresfrist für einen Widerspruch gegenüber den Verlagen zu wahren, habe ich in H-SOZ-U-KULT Ende August 2007 berichtet.[2] Unmittelbar darauf hatte der Ilmenauer Bibliothekar und Jurist Eric Steinhauer eine zündende Idee: Der Widerspruch gegenüber den Verlagen bringt kein einziges Dokument automatisch in die Hochschulschriftenserver. Werden (nicht-ausschließliche) Nutzungsrechte aber vor dem Inkrafttreten am 1. Januar 2008 einem Dritten eingeräumt, unterbleibt der automatische Anfall der Rechte der früheren "unbekannten Nutzungsarten" an die Verlage. Der Autor muss sich in diesem Fall überhaupt nicht beim Verlag melden oder einen Widerspruch einlegen. Kommt der Verlag auf ihn zu, kann und sollte er diesem eine digitale Publikation gestatten. Der Verlag gewinnt aber nicht automatisch das ausschließliche Nutzungsrecht, denn ein Nutzungsrecht liegt ja bereits rechtmäßig bei einem Dritten. Und dieser Dritte sind die Hochschulschriftenserver und fachlichen Repositorien![3]

Leider haben die Bibliotheken diese elegante Idee nur sehr zögerlich aufgegriffen. Erst in der zweiten Novemberhälfte haben einige Hochschulleitungen und Bibliotheken die Wissenschaftler der Universität gebeten, formlos dem Hochschulschriftenserver noch bis zum Jahresende einfache Nutzungsrechte an allen vor 1995 erschienenen Fachpublikationen zu übertragen.[4] Am 6. Dezember haben DINI und das Aktionsbündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft" (http://www.urheberrechtsbuendnis.de) einen Rundbrief versandt, in dem sie alle Wissenschaftler dringend aufriefen, den Stichtag 31.12.2007 nicht verstreichen zu lassen und ihrem zuständigen Schriftenserver die Nutzungsrechte einzuräumen.[5] Eine kleine Sammlung von Antworten auf aktuelle Fragen zum Thema hat das Projekt open-access.net (http://www.open-access.net) zur Verfügung gestellt.[6]

Fast alle deutschen Universitäten unterhalten einen Open-Access-Schriftenserver, an den die Rechteeinräumung bis zum 31. Dezember formlos gerichtet werden kann. Die ihn betreibende Universitätsbibliothek bestätigt dann dem Autor die Rechteübertragung. Damit kann dieser später gegenüber einem Verlag belegen, dass er die Online-Rechte vor Inkrafttreten des Gesetzes einem Dritten eingeräumt hat. Es ist nicht erforderlich, die Schriften noch 2007 zu digitalisieren oder zugänglich zu machen. Schriftenserver und Autoren können 2008 in aller Ruhe sich über die Modalitäten der Einstellung einigen: Ob der Autor selbst scannt und hochlädt oder ob die Bibliothek für ihn digitalisiert.

In Hochschulschriftenservern können grundsätzlich immer nur die Angehörigen der Hochschule publizieren. Wer nicht einer Hochschule angehört, hat aber die Möglichkeit, die Rechte einem fachlichen Repositorium zu übertragen. Im Bereich der Kunstgeschichte betreibt die Universitätsbibliothek Heidelberg einen solchen Server: ART-Dok.[7] Für die Geschichtswissenschaft existiert noch kein fachliches Repositorium. Um aber auch Historikerinnen und Historikern ohne universitäre Anbindung die Möglichkeit zu bieten, ihre Fachpublikationen vor 1995 durch eine solche Rechteeinräumung "Open Access" zugänglich zu machen, ruft Gudrun Gersmann (Paris), die Mitbegründerin von historicum.net, dazu auf, dass die Autoren der "Bayerischen Staatsbibliothek als Betreiberin des geschichtswissenschaftlichen Informationsportals historicum.net" ein einfaches Nutzungsrecht einräumen sollen.

Für eine flächendeckende Mobilisierung der Wissenschaftler ist die Zeit
vor der Weihnachtspause viel zu knapp. Die meisten werden von der
Möglichkeit der Rechteeinräumung nichts mehr erfahren oder erst Anfang
2008, wenn es für den hier beschriebenen Weg zu spät ist. 2008 müssen
Wissenschaftler, die Verlage daran hindern wollen, dass diese ihnen
mittels eines ausschließlichen Nutzungsrechtes eine
Open-Access-Publikation ihrer älteren Studien verbieten, möglichst bald gegenüber dem Verlag widersprechen. Der Verlag kann eine digitale Nutzung aufnehmen, wenn er den Autor unter der letzten bekannten Adresse davon unterrichtet. Dann hat der Autor drei Monate Zeit für einen Widerspruch. Es liegt auf der Hand, dass bei älteren Veröffentlichungen der Anteil der Briefe, die an den Verlag unzustellbar zurückgehen, sehr hoch sein dürfte. Daher empfehlen Urheberrechtsbündnis und DINI den Wissenschaftlern, möglichst innerhalb der ersten drei Monate von 2008 Widerspruch bei den Verlagen einzulegen.

Als "Schlag ins Wasser" sehen Open-Access-Anhänger die späte Kampagne trotzdem nicht. Sie setzt ein Zeichen für Open Access, macht die Repositorien, die ja dem "grünen Weg" von Open Access entsprechen[8], bekannter und verdeutlicht, dass die Hochschulleitungen hinter Open Access stehen und die eigenen Schriftenserver unterstützen. Weltweit beklagen Open-Access-Aktivisten die schwache Resonanz der Repositorien bei den Wissenschaftlern. Als Königsweg, sie mehr zu füllen, gelten ausdrückliche Verpflichtungen (Mandate) seitens der Hochschulen und Förderorganisationen. Bei deutschen Universitäten verbaut aber Verfassungsrecht nach Ansicht vieler Juristen diesen Weg: Universitäten dürfen ihre Wissenschaftler nicht zwingen, Open Access zu veröffentlichen.

Bereits jetzt lässt sich absehen, dass durch die Aktion in absehbarer Zeit eine große Anzahl wertvoller Fachbeiträge, etwa ältere Habilitationsschriften, kostenfrei im Internet einsehbar sein werden. Denn bei den (vergleichsweise wenigen) Universitäten, die ihre Wissenschaftler um Nutzungsrechte gebeten haben, ist die bisherige Resonanz durchaus positiv. Von der Universitätsbibliothek Bielefeld verlautete etwa: "Der Rücklauf ist inzwischen so gewaltig, dass wir für das Beschaffen, Scannen und Einstellen der Dokumente im nächsten Jahr wahrscheinlich zusätzliche Hilfskräfte einstellen müssen."[9]

(Die freie Verbreitung dieses Textes mit Quellenangabe ist gestattet.)

Anmerkungen:
[1] (12.12.2007).
[2] Graf, Klaus, Urheberrechtsnovelle - Implikationen für die Wissenschaft, in: H-Soz-u-Kult, 29.08.2007,

(12.12.2007). Siehe auch meinen Beitrag zum gleichen Thema: Neues Urheberrecht: Autoren müssen reagieren, in: Kunstchronik 60 (2007), S. 530-523 (Themenheft Open Access), in ergänzter Form online: (12.12.2007).
[3] Eric Steinhauer, § 137 l UrhG und die Rolle der Bibliotheken,
(14.12.2007)
[4] Lückenhafte Liste von Informationsseiten: . Exemplarisch die Seite der Humboldt-Universität Berlin:

[5] (12.12.2007) mit Mustertexten.
[6] (12.12.2007).
[7] (12.12.2007).
[8] Ulrich Herb, Die Farbenlehre des Open Access, in: Telepolis vom 14.10.2006 (12.12.2007).
[9] Laufende Berichterstattung unter (12.12.2007).

ZitierweiseKlaus Graf: Urheberrechtsnovelle - Jetzt noch Nutzungsrechte sichern!. In: H-Soz-u-Kult, 14.12.2007, .

Urheberrechtsnovelle - Das Urheberrecht in der Wissenschaft, oder „The Dirty Way Of Information“

Eric W. Steinhauer, Universitätsbibliothek Ilmenau, Technische Universität Ilmenau

(Veröffentlicht am 27.09.2007 auf H-SOZ-Kult)

Es war eine schwere Geburt, die mit der 836. Sitzung des Bundesrates zu einem vorläufigen Abschluss gekommen ist. Das „Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“, besser bekannt unter seinem Spitznamen „Zweiter Korb“, kann nun ausgefertigt und verkündet werden und damit Anfang 2008 in Kraft treten.

Die Regelungen des Zweiten Korbes sind vor dem Hintergrund einer EU-Richtlinie aus dem Jahre 2001 zu sehen. Dieser angesichts der rasanten Entwicklungen im digitalen Raum des Internet schon fast als „antik“ zu bezeichnende Text macht dem nationalen Gesetzgeber Vorgaben für ein „zeitgemäßes“ Urheberrecht in der Informationsgesellschaft. Während in einem Ersten Korb bestimmte zwingende Regelungen im Jahre 2003 bereits fristgerecht umgesetzt wurden, widmete sich der Gesetzgeber im Zweiten Korb weniger eiligen Themen.

Es war hierbei das erklärte Ziel der Bundesregierung, ein bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht zu schaffen. Und tatsächlich enthält der Zweite Korb einige Ansatzpunkte, die als Zeichen guten Willens gelten können.

So ist es zu begrüßen, wenn der seit Jahrzehnten klaglos praktizierte und gewohnheitsrechtlich anerkannte Postversand von Aufsatzkopien durch Bibliotheken nun auch ausdrücklich gesetzlich erlaubt wird, den „innovativen“ Versandweg des FAX gleich miteingeschlossen (§ 53a UrhG). Selbst eine elektronische Dokumentenlieferung soll erlaubt sein, wenngleich hier nur graphische Dateien verschickt werden dürfen. Die Sache hat allerdings einen Haken. Der elektronische Lieferweg ist nur insoweit gestattet, als nicht die Verlage selbst entsprechende Angebote offensichtlich und zu angemessenen Bedingungen vorhalten. Für den Bereich der Natur- und Technikwissenschaften mit ihrem sehr hohen Anteil an elektronischen Zeitschriften und ihrem enormen Bedarf an aktueller Information wird dies durchgängig der Fall sein. Die einfache Aufsatzbestellung durch Dienste wie Subito wird es daher für den elektronischen Lieferweg in Zukunft nicht mehr geben. Die Leser müssen die Beiträge bei den Verlagen erwerben. Literaturversorgung wird teurer.

Das neue Urheberecht erlaubt den Bibliotheken, ihre Bestände zu digitalisieren und ihren Nutzern auch in dieser Form zugänglich zu machen (§ 52b UrhG). Es ist zu begrüßen, dass nunmehr wichtige Werke direkt am Bildschirm einsehbar sind. Medienbrüche können geglättet werden. Aber auch hier hat die Sache einen Haken. Die digitalisierten Titel dürfen nur in den Räumen der Bibliothek und dort nur an speziellen Leseplätzen eingesehen werden. Das sind Benutzungsmodalitäten, wie man sie sonst nur im Handschriftenbereich oder bei gefährdeten Altbeständen findet. Es ist im Zeitalter von netzwerkbasiertem Arbeiten sicher kein Fortschritt, zur Einsichtnahme von Digitalisaten persönlich in die Bibliothek gehen zu müssen. Welchen besonderen Nutzen sich der Gesetzgeber von dieser Regelung verspricht, bleibt unklar.

Besieht man sich beide Neuerungen, so sind sie nach dem gleichen Muster gestrickt: ein Schritt nach vorn - neue Dienstleistungen werden gesetzlich erlaubt -, zwei Schritt zurück - die konkreten Modalitäten sind so restriktiv und unpraktisch, dass von Fortschritt für Wissenschaft und Bildung nur der reden kann, der in diesen Bereichen ansonsten nicht sehr beheimatet ist.

Die genannten Regelungen wurden breit diskutiert. Wissenschaftsorganisationen, allen voran das Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“, haben immer wieder ein wirklich fortschrittliches und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht angemahnt. Gerade im Bereich der Dokumentlieferungen und damit der für die Wissenschaft so wichtigen Informationsversorgung wird es nach Inkrafttreten des Gesetzes aber zu massiven Einschränkungen der gewohnten Dienstleistungen kommen. Dennoch ging bislang kein Aufschrei durch die Wissenschaft. Warum, fragt man sich?

Eine mögliche Antwort kann im Stellenwert des Urheberrechts in der Wissenschaft selbst gesucht werden. Obwohl wissenschaftliches Publizieren und ein durch Publikationen geschaffenes Renommee für jeden ernsthaften Wissenschaftler sehr wichtig sind, ist das Interesse für die spezifisch juristischen Fragen des wissenschaftlichen Publizierens schwach bis gar nicht ausgeprägt. Da wird unbesehen der umfangreiche Verlagsvertrag mit seinen unbillig weiten Rechteübertragungen unterschrieben, schließlich soll das mit viel Mühe erarbeitete Papier endlich raus. Außerdem ist man ohnehin in Zeitnot und gedanklich schon beim nächsten Projekt. Und die Literaturversorgung? Merken die Wissenschaftler denn nicht, dass die Bibliotheken ihrer Hochschulen angesichts gestiegener Zeitschriftenpreise immer weniger anbieten können? Spüren sie denn nicht die wachsenden Kosten der Dokumentlieferung, die nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes für die bequeme und zeitgemäße elektronische Lieferung einen deutlichen Satz nach vorne machen werden?

Nein, sie nehmen es kaum wahr. Das liegt an dem weitverbreiteten „dirty way of information“, und der geht so: Irgendwer im Institut kennt immer Irgendwen, der von seinem letzten Aufenthalt in Sowieso noch ein sehr interessantes Passwort zu einem umfangreichen Angebot elektronischer Zeitschriften und Datenbanken besitzt ... Und wenn das nicht hilft, dann kann man immer noch den einen oder anderen Kollegen anrufen, der das gewünschte Dokument aus den ihm zur Verfügung stehenden Quellen schnell vermitteln oder liefern kann. Diese Netzwerke existieren. Und sie funktionieren wunderbar und erheblich besser als jede offizielle bibliothekarische Dienstleistung. Aus Sicht der Wissenschaftler ist diese Art der Informationsbeschaffung nur konsequent. Hier drückt sich die gleiche juristische Sorglosigkeit in Fragen des Urheberrechts und vertraglich vereinbarter Lizenzbestimmungen aus, die sie auch beim Abschluss ihrer Verlagsverträge an den Tag legen. Wir haben es hier im Grunde mit einem anarchischen System zu tun, in dem die für die Juristen ach so wichtigen Fragen des Urheberrechts schlicht nicht interessieren. Daher ist den meisten Wissenschaftlern die Reform die Urheberrechts auch ziemlich gleichgültig, denn an ihrem „dirty way of information“ und ihren Publikationsgewohnheiten wird sich nichts ändern. Das Nachsehen haben aber alle, die außerhalb etablierter Netzwerke arbeiten und forschen, wie Studierende, Diplomanden, externe Doktoranden, Privatgelehrte. Allesamt Leute ohne schlagkräftige Lobby.

Der Gesetzgeber hat im Zweiten Korb die Belange der Verwerter in den Vordergrund gestellt und ihre Rechtsposition gestärkt. Augenfällig wird dies in der weitgehenden Zuordnung der elektronischen Sphäre unter ihre Kontrolle. Sogar die Nutzungsrechte für eine Internetpublikation von älteren, vor 1995 erschienenen Werken werden den Autoren weggenommen und den Verlagen übertragen (§ 137l UrhG).

Wie sollte demgegenüber ein wissenschaftsfreundliches Urheberrecht aussehen? Es sollte sich vor allem an der vornehmsten Aufgabe des Gesetzgebers orientieren, einen gerechten Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen (Verwerter, Urheber und Gemeinwohl) herzustellen und dabei die Schwachen schützen. Die Schwachen, das sind die wissenschaftlichen Urheber selbst, auch wenn sie es nicht immer merken. Zwar brauchen die Wissenschaftler im Prinzip kein neues Urheberrecht, denn nach geltendem Recht können sie als Autoren vollkommen souverän über die Reichweite und den Inhalt der den Verlagen einzuräumenden Nutzungsrechte an ihren Veröffentlichungen entscheiden. Doch setzt dies eine Verhandlungsposition der Augenhöhe und eine genaue Kenntnis der urheberrechtlichen Gegebenheiten voraus.

Beides überfordert die meisten Wissenschaftler. Zu Recht. Es kann nämlich nicht sein, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Urheberrechts im wissenschaftlichen Bereich auf diesen Punkt keine Rücksicht nimmt. Ein wirklich wissenschaftsfreundliches Urheberrecht sollte den Wissenschaftler bei der Publikation seiner Forschungsergebnisse von eigenen Verhandlungen mit den Verlagen weitgehend entlasten. Ein wissenschaftsfreundliches Urheberrecht sollte die Bedingungen gesetzlich verbindlich garantieren, die eine angemessene und leichte Verfügbarkeit der publizierten Information im Kontext wissenschaftlichen Arbeitens ermöglichen. Daher ist für eine künftige Reform des Urheberrechts in einem „Dritten Korb“ ein nicht abdingbares Zweitveröffentlichungsrecht für Wissenschaftler zu fordern, damit diese ihre Ergebnisse frei und ungehindert der Fachöffentlichkeit zur Verfügung stellen können. Eine spannende Frage wird sein, ob die Wissenschaftler zu motivieren sind, sich wenigstens für einen ganz den Belangen von Bildung und Wissenschaft gewidmeten „Dritten Korb“ laut und vernehmlich zu engagieren. Hier kann man nach dem oben Gesagten durchaus skeptisch sein. Aber kann es darauf ankommen? Es wäre ein schwaches Zeugnis für den Gesetzgeber, reagierte er nur auf hysterisches Geschrei und massiven Lobbyismus. Der Gesetzgeber sollte vielmehr seine Verantwortung für die Ausgestaltung angemessener Bedingungen einer in Forschung und Lehre freien Wissenschaft einfach ernst nehmen und ein transparentes und sachgerechtes Urheberrecht für die Wissenschaft machen. Der „dirty way of information“ hätte eine Ende und die Wissenschaftler können sich ohne schlechtes Gewissen auf das konzentrieren, was ihnen die Verfassung als ureigenen Handlungsraum garantiert, nämlich wissenschaftlich zu forschen, zu lehren und zu publizieren.

Was aber, wenn der Gesetzgeber dies nicht tut? Dann wird alles vom weiteren Handeln der Wissenschaftler selbst abhängen. Letztlich wird sich dasjenige Publikationsmodell durchsetzen, das einfach und sachgerecht ist, das Sichtbarkeit ermöglicht und Renommee erzeugt. Ob das auf lange Sicht die restriktiv verfügbare Verlagspublikation in ihrer heutigen Erscheinung sein wird, ist durchaus fraglich. Es kann sein, dass in einigen Jahren die heute hart umkämpften Verwertungsrechte der Verlage wie mittelalterliche Ablassbriefe erscheinen im Kontext einer wissenschaftlichen Publikationskultur, die auf Diskurs und Offenheit in selbstorganisierten digitalen Publikationsnetzwerken setzt mit innovativen und kooperativen kommerziellen Dienstleistern, den Verlagen der Zukunft, an ihrer Seite.

Es wird sich in den kommenden Jahren zeigen, ob die Politik in der Lage ist, die tiefgreifenden Wandlungen im wissenschaftlichen Publikationsprozess, die vor allem den Geisteswissenschaften noch weitgehend bevorstehen, angemessen und zukunftsoffen zu gestalten und zu moderieren. Soviel ist jetzt schon sicher: Das Thema „Urheberrecht in der Wissenschaft“ wird uns noch einige Zeit beschäftigen.

Zitierweise:

Eric W. Steinhauer: Urheberrechtsnovelle - Das Urheberrecht in der Wissenschaft, oder „The Dirty Way Of Information“ (Steinhauer). In: H-Soz-u-Kult, 27.09.2007 .

Jetzt aber schnell: Am 31.12. ist Online-Rechts-Schluss: Das Recht zur eigenen Online-Publikation sichern.

ACHTUNG: Zur Information unbedingt auch den Beitrag von Klaus Graf nachlesen

Katja Mruck vom FQS - Forum Qualitative Sozialforschung weist uns per kv-Liste auf eine SSSOR-Initiative hin:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Wir entwickeln derzeit in einem DFG-gefoerderten Projekt gemeinsam mit GESIS das Social Science Open Access Repository (SSOAR). Ueber SSOAR sollen kostenpflichtig erschienene Texte frei im Internet zugaenglich gemacht werden. SSOAR widmet sich zunaechst vor allem Veroeffentlichungen zu qualitativen Methoden, wird aber als Volltextserver fuer die gesamten Sozialwissenschaften verfuegbar sein. (Weitere Informationen: http://www.ssoar.info/)

Ich schreibe Ihnen, weil zum 1. Januar 2008 eine Veraenderung des
deutschen Urheberrechtsgesetzes in Kraft tritt, die die digitalen
Veroeffentlichungsrechte Ihrer Publikationen bei deutschen Verlagen
betrifft.

Nach der bisherigen Rechtslage sind Sie im Besitz der Digitalisierungsrechte aller Ihrer vor 1995 erschienenen Werke, auch
wenn Sie damals einem Verlag saemtliche Nutzungsrechte uebertragen hatten. Mit der Neufassung des Urheberrechtsgesetzes gehen in diesen Faellen (der Regelfall!) auch die Nutzungsrechte fuer
Online-Publikationen auf den Verlag ueber.

Es gibt eine Widerspruchsfrist bis Ende 2008, die Sie aber fuer jede
einzelne Publikation wahren muessten. Sie koennen den automatischen Rechteuebergang viel einfacher verhindern, indem Sie Dritten Nutzungsrechte an Ihren Arbeiten einraeumen, BEVOR das neue Urheberrecht in Kraft tritt, d.h. BIS SPAETESTENS zum 31.12.2007. Wir bitten Sie deshalb, die einfachen Nutzungsrechte auf eine Einrichtung oder mehrere Einrichtungen Ihrer Wahl zu uebertragen:

z.B. SSOAR und/oder Ihren Hochschulserver (Liste:
http://miles.cms.hu-berlin.de/dini/wisspub/repositories/german/index.php)

oder einen anderen Volltextserver wie PsyDok
(http://psydok.sulb.uni-saarland.de/doku/hilfe_urhg2008.php)

oder pedocs (http://www.fachportal-paedagogik.de/publizieren_mit_pedocs.html).

Wenn Sie dies nicht tun, verlieren Sie und verliert Ihre Institution das Recht, diese Publikation online anzubieten. Deshalb plaedieren
Wissenschaftsorganisationen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft nachdruecklich fuer die Rechteuebertragung.

Eine Rechteuebertragung ist ganz einfach mit einer formlosen Mitteilung (fuer SSOAR an redaktion@ssoar.info) mit folgender Aussage moeglich:

--->
Hiermit uebertrage ich [oder Ihre Institution] SSOAR (Betreiber: Freie Universitaet Berlin und Gesellschaft Sozialwissenschaftlicher
Infrastruktureinrichtungen [GESIS e.V.]) ein einfaches Nutzungsrecht an meinen vor 1995 erschienenen wissenschaftlichen Aufsaetzen und weiteren Veroeffentlichungen zur Nutzung auf dem Dokumentenserver (digitale Publikation).

Name / Adresse:
(Unterschrift)
<---

Bitte fuegen Sie nach Moeglichkeit eine Liste der Publikationen an und verbreiten Sie diese Information auch an Ihre Kolleginnen und Kollegen.

Fuer Rueckfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfuegung.

Ihnen herzliche Gruesse!
Katja Mruck

Ps: Eine auch fuer Nicht-Jurist(inn)en gut verstaendliche, bewertende Zusammenfassung zum neuen UrhG finden Sie bei H-SoZ-Kult
oder hier

weitere Informationen hier

Bei neuen Publikationen sollten Sie unbedingt auf vertragliche
Vereinbarungen achten, in denen Sie kein AUSSCHLIESSLICHES Nutzungsrecht vergeben bzw. zumindest fuer sich selbst ein EINFACHES Nutzungsrecht an Ihren eigenen Arbeiten behalten; siehe hierzu auch die DFG-Foerderrichtlinie

SSOAR ist natuerlich gerade auch an diesen neuen Aufsaetzen interessiert.

Informationsplattform Open Access: http://www.open-access.net/ Social Science Open Access Repository: http://www.ssoar.info/
 

"Ich werde weiter der kritischen Wissenschaft treu bleiben"

sagt der Berliner Stadtsoziologe Andrej Holm, der immer noch von den Generalbundesantwaltschaft ob seines wissenschaftlichen Engagements nach wie vor terrorisiert wird. In einem Interview mit dem 3sat-Kulturmagazin (31.10. 2007), sagte er unter anderem:

"Wie wird es jetzt weitergehen für ihn? "Ich werde weiter der kritischen Wissenschaft treu bleiben und soziale Ungerechtigkeiten der Stadtentwicklung so bezeichnen, der Protestbewegung zur Verfügung stellen - das gehört zur Wissenschaft dazu", sagt Andrej Holm. "Im Moment gibt es keine negativen Auswirkungen. Ich werde weiterhin zu Kongressen und Seminaren eingeladen und habe Werkverträge, Aufträge von verschiedenen Instituten. Ob das langfristig eine Auswirkung darauf hat, wie ich mich im beruflichen Leben weiterqualifizieren und bewerben kann, wird man erst in Zukunft sehen."

Nach Lage der Dinge, werden das einige hier in Hamburg auch so halten, Herr Ermittlungsrichter Ulrich Hebenstreit!
 

Bibliotheksbenutzung wieder erlaubt?

Der BGH hat mitgeteilt, dass er schon am 18.10. beschlossen hat, den Haftbefehl gegen den Stadtsoziologen Andrej Holm aufzuheben, dass aber weiter nach §129a ermittelt wird. In der Entscheidung wird zudem behauptet, dass der Anfangsverdacht zu recht bestanden habe.

In der Zwischenzeit ist heute der Institutsdirektor des rennomierten Instituts für Stadt- und Regionalsoziologie an der HU Berlin, Hartmut Häussermann zwangsweise vom BGH als Zeuge vorgeladen worden und wohl einige Stunden in die Mangel genommen worden.

lesen
Nun stellen sich den mehr oder weniger befangenen Beobachtern, die selbst ganz schnell mit einer teilnehmenden Beobachtung konfrontiert sein könnten, nach wie vor die Frage, ob Bibliotheksbesuche und die Verwendung des Begriffs "Gentrification" nun einen Anfangsverdacht begründet oder nicht. Das wird noch zu zeigen sein.

Der rennomierte Stadtforscher Peter Marcuse (u.a. Sohn von Herbert Marcuse) hat dazu jüngst seine eigene Meinung geäußert, die hier nicht nur auf Zustimmung stößt, es aber schon die Frage ist, ob man angesichts der biographischen Erfahrung Marcuses (vgl. taz, 20.10.2007), solche Einschätzungen als "dummes Zeug" abtun kann.
 

annas list gegen stasi-methoden

annalist heißt das Blog der Lebensgefährtin des Stadtsoziologen Andrej Holm, der von der Bundesantwaltschaft verhaftet wurde (§ 129a) und dessen gesamte Familie nach seiner immer noch vorläufigen Freilassung nun vom BKA überwacht und terrorisiert wird:


"I live in Berlin as a media activist, journalist, translator, and mother of two (best reason to be home and online a lot). Recently my life has changed enormously when German Federal Police arrested my partner Andrej Holm for being terrorist. Details at einstellung.so36.net."


Dieses Weblog ist für einen Weblogforscher aus zweierlei Gründen faszinierend. Es ist erstens eine durchaus innovative politische Strategie sich gegen staatliche Drangsalierung und Terrorisierung, und die damit verbundene Durchdringung des eigenen Alltags öffentlich zu Wehr zu setzen. Waren die Opfer staatlicher Willkür bisher vor allem auf sich allein gestellt oder auf einen kleinen UnterstützerInnen-Kreis angewiesen, so lassen sich die Auswirkungen dieser Überwachung durch eine solche Form der Herstellung von Öffentlichkeit nicht nur ein Stück weit besser bewältigen, sondern der Vorwurf der Beteiligung bzw. Bildung einer terroristischen Vereinigung wird ad absurdum geführt. Ein solches Blog ist zweitens auch eine probates Mittel der Selbstreflexion, mit den damit verbundenen Zumutungen durch BKA und Generalbundesantwaltschaft umzugehen.

Schlussendlich könnte man dieses Weblog als eine neuartige Protestform analysieren, in einem asymetrischen Konflikt, in dem dem Betroffenen Klandestinität und Illegalität zum Vorwurf gemacht wird, sich nicht nur subjektiv zu behaupten, sondern ein Stück weit auch Gegenmacht zu demonstrieren. Diese Offenlegung persönlicher alltäglicher Handlungen und Details bringt die ganzen Konstruktionen der Verfolgungsbehörden zumindest diskursiv zum implodieren.

Update 20.10. 2007

Till Westermayer über "Asymetrische Öffentlichkeit"
Annalist bei Technorati
Annalist bei Googles Blogsuche
 

„Guantánamo in Germany“

Verhafteter Stadtsoziologe nach internationalem Druck vorläufig entlassen worden

Na wer sagt es denn. Manchmal bewirkt politischer Druck und Öffentlichkeit doch etwas. Wie soeben durch die Rechtsanwältin Christina Clemm mitgeteilt wurde, wurde der Ostberliner Stadtsoziologe Andrej H. heute um halb zwei aus der Untersuchungshaft entlassen worden.

Pressemittleilung:

"Der Haftbefehl wurde nicht aufgehoben, sondern der Ermittlungsrichter am BGH hat meinen Mandanten nach Zahlung einer Kaution und unter Auferlegung verschiedener Auflagen von der Untersuchungshaft verschont.

Dies bedeutet, dass nach Ansicht des Ermittlungsrichters der Fluchtgefahr mit weniger einschneidenden Mitteln als der Untersuchungshaft begegnet werden kann.

Die Bundesanwaltschaft hat mitgeteilt, dass sie gegen diese Entscheidung in Beschwerde gehen werde."


Letztlich zeigen sich diese Herrschaften nicht sonderlich lernfähig und darüber hinaus kann noch nicht wirklich zur Tagesordnung übergegangen werden. Denn es gibt noch weitere Verdächtige, die mit ähnlichen Begründungen wie Andrej H. gegenwärtig verfolgt werden.

Nochmals zum Hintergrund. Laut taz (22.8.2007) hat die Anwältin des Soziologen nach einem Bericht Einsicht in die Ermittlungsunterlagen nehmen können:

Clemm zufolge haben die Fahnder des BKA im Internet nach bestimmten Stichworten gesucht, die auch die "militante gruppe" in ihren Bekennerschreiben benutzt. Darunter seien Begriffe wie "Gentrification" oder "Prekarisierung". Da H. zu diesen Themen forsche, seien die Fahnder auf ihn aufmerksam geworden. "Das reichte für die Ermittlungsbehörden für eine fast einjährige Observation, für Videoüberwachung der Hauseingänge und Lauschangriff", so Clemm.

Die Tatsache, dass der Soziologe zu den Begriffen forschte, die für die Aufwertung oder Abwertung von Stadtvierteln benutzt werden, genügte offenbar den BKA-Beamten, um eine Verbindung zur "militanten Gruppe" herzustellen. "Das reichte für die Ermittlungsbehörden für eine fast einjährige Observation, für Videoüberwachung der Hauseingänge und Lauschangriff", erklärte die Anwältin Christina Clemm der taz.

Heute ist ausserdem ein Kommentar von Richard Sennett und Saskia Sassen auf der Meinungsseite der taz veröffentlicht worden.:

"Entsprechend sind auch die Kommentare US-amerikanischer Stadtforscher zu den Terrorismusvorwürfen in Deutschland. Die Soziologen Richard Sennett und Saskia Sassen sprechen von einem Vorgehen "nach Guantánamo-Art" (siehe Meinungsseite). Dutzende von Soziologen und Stadtforschern aus den USA haben sich inzwischen mit einem eigenen Brief an die Bundesanwaltschaft gewandt. Darin verwahren sich die Wissenschaftler "gegen den unglaublichen Vorwurf, die wissenschaftliche Tätigkeit und das politische Engagement sei als intellektuelle Mittäterschaft in einer angeblichen terroristischen Vereinigung zu bewerten"."
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Deutungsmuster und Erzählstrategien bei der Bewältigung beruflicher Krisenerfahrungen In: Seifert, Manfred/Götz, Irene/Huber, Birgit (Hg.): Flexible Biographien. Horizonte und Brüche im Arbeitsleben der Gegenwart. Frankfurt u. a. 2007, S. 167-184.








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